Customer Insights: 13 Methoden für effektive Kundenforschung
Kundenzentrierung ist einer der vier agilen Kernwerte: Doch wie können sich agile Organisationen auf die Bedürfnisse ihrer Kund*innen konzentrieren und einen Mehrwert schaffen? Grundlage dafür sind Customer Insights – also das Wissen über die Bedarfe, Verhaltensweisen und Präferenzen der Zielgruppe. Wie Unternehmen zu diesen wichtigen Erkenntnissen gelangen und welche Methoden dabei helfen, lesen Sie im Artikel.
Inhalte dieser Seite
- 1. Was versteht man unter Customer Insights?
- 2. Customer Insights: Warum ist Kundenforschung wichtig?
- 3. Customer Insights: Wer ist für die Kundenforschung zuständig?
- 4. Die Haltung als Kundenforscher*in
- 5. Customer Insights: Wie funktioniert Kundenforschung?
- 6. Beobachtung, Dialog, Selbstversuch: Methoden der Kundenforschung
- 7. Fazit
Was versteht man unter Customer Insights?
In einer immer komplexer werdenden Geschäftswelt ist das Verständnis für die Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Präferenzen der Kund*innen entscheidender denn je. Customer Insights (in deutsch etwa “Erkenntnisse über Kunden”, “Kundenwissen”) helfen Unternehmen dabei, einen tieferen Einblick in ihre Zielgruppe zu gewinnen. Die systematische Erforschung und Analyse von Kundeninformationen hilft ihnen, ihre Produkte und Dienstleistungen am Kundennutzen auszurichten und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen.
Grundlage ist das Sammeln von Informationen über Kund*innen durch gezielte Kundenforschung. Unternehmen setzen dabei eine Vielzahl von Methoden ein, wie z.B. Umfragen, Interviews, Fokusgruppen oder Datenanalysen aus Kundeninteraktionen und Social Media. Mithilfe dieser Forschungsmethoden zeichnen sie ein detailliertes Bild ihrer Zielgruppe und erkennen Bedürfnisse und Trends. Kundenforschung und die daraus gewonnenen Customer Insights bilden damit die Grundlage für vielfältige strategische Entscheidungen. Sie ermöglichen es Unternehmen, eine engere Verbindung zu ihren Kund*innen aufzubauen und ihre Marktposition zu stärken.
Customer Insights: Warum ist Kundenforschung wichtig?
Im Zeitalter der Digitalisierung mit weitgehend gesättigten Märkten und hohem Wettbewerbsdruck verändert sich das Verhältnis zwischen Kund*innen und Unternehmen grundlegend: Konnten Unternehmen früher ihre Waren einfach ins Schaufenster stellen und damit Kund*innen anlocken, ist es heute umgekehrt: Die Kund*innen sind das Objekt der Begierde und Unternehmen müssen den Weg zu ihnen finden.
Als Verbraucher*innen sind wir es mittlerweile gewohnt, alles rund um die Uhr online bestellen zu können und umgehend geliefert zu bekommen. Wir können aus einem breiten Angebot wählen und erwarten einen umfassenden Service. Wenn das Unternehmen meine Erwartungen nicht erfüllt oder gar enttäuscht, bin ich als Kund*in schnell verloren.
Deshalb ist es für Organisationen heutzutage überlebenswichtig, ihre Kund*innen und deren Bedürfnisse zu kennen. Kundenforschung ist hierbei ein wichtiger Baustein, um Customer Insights aufzubauen. Und das zahlt sich aus: Unternehmen, die systematisch Kundenwissen sammeln und nutzen, sind nachweislich erfolgreicher. Das belegen zahlreiche Studien wie beispielsweise der Forrester CX Report (2016) oder die Capgemini-Studie „The Disconnected Customer“ aus dem Jahr 2017. Hier einige Kennzahlen:
- 566 % stärkeres Umsatzwachstum als Wettbewerber mit geringer Kundenzentrierung
- 261 % bessere Aktienperformance als Unternehmen mit geringer Kundenzentrierung
- 100 % höhere Weiterempfehlungsbereitschaft der Kund*innen
- 81 % der Kund*innen sind bereit, für ein besseres Kundenerlebnis mehr Geld zu bezahlen
Airbnb: Erfolg durch Kundenforschung
Haben Sie schon einmal eine Ferienunterkunft über Airbnb gebucht? Wenn Sie diese Frage mit “Ja” beantworten, befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Nach unternehmenseigenen Angaben wurden seit der Gründung im Jahr 2008 mehr als 1,5 Milliarden Übernachtungen über das Portal gebucht (Stand: 31. Dezember 2023). Das Unternehmen erwirtschaftete allein im Jahr 2020 einen Umsatz von 2,4 Milliarden US-Dollar und hatte im Jahr 2022 einen Börsenwert von 64 Milliarden US-Dollar. Ende 2020 lag Airbnb auf Platz 149 der wertvollsten Unternehmen der Welt. Beeindruckende Zahlen. Aber wussten Sie auch, dass das Unternehmen 2009 kurz vor der Pleite stand?
Airbnb machte anfangs kaum Umsatz, manchmal kamen umgerechnet nur 200 Euro pro Woche rein. Ironie der Geschichte: Die Gründer, die mit dem Vermieten von Unterkünften Geld verdienen wollten, konnten mit den Einnahmen ihre eigene Miete nicht mehr bezahlen.
Dabei ist die Geschäftsidee hinter Airbnb so einfach wie genial: “Wir wollen eine Webseite machen, auf der Leute öffentlich Bilder von ihren privaten Räumen posten. Über das Internet können sie dann Fremde einladen, bei ihnen zu übernachten.” Doch zunächst wollte kaum jemand eine Übernachtung buchen. Woran lag das? Die Verantwortlichen von Airbnb erkannten bald, dass sie zu wenig über ihre potenziellen Kund*innen wussten. Das Portal entstand aus den positiven Erfahrungen, die die Gründer mit der Untervermietung ihrer eigenen Wohnung gemacht hatten. Bei der Entwicklung von Airbnb dachten sie nun, dass sie ihre Kund*innen schon kennen würden – weil sie einfach von sich selbst ausgegangen waren.
Wir saßen hinter unseren Computerbildschirmen und versuchten, uns unseren Weg durch die Probleme zu programmieren. Wir glaubten, dass man im Silicon Valley Probleme auf diese Weise löst.
Es reifte die Erkenntnis: “Von uns auf andere zu schließen, greift zu kurz. Im Büro erhalten wir keine tief greifenden Erkenntnisse über unsere Kund*innen. Wir müssen rausgehen und mehr über sie erfahren.” Also begann Airbnb zu forschen. Sie fanden heraus, dass die auf dem Portal angebotenen Unterkünfte in der Realität viel besser aussahen als auf den Fotos im Internet. Potenzielle Gäste müssen aber erst einmal dem vertrauen, was sie im Netz sehen. Also fuhren Gebbia und seine Kolleg*innen mit einer Kamera im Gepäck zu den Gastgeber*innen, haben sie interviewt – und selbst Fotos gemacht. Und die Unterkünfte mit den besseren Fotos verkauften sich am Ende auch besser. Das war der erste Schritt aus der Krise.
Kundenforschung war ein zentraler Erfolgsfaktor in der Entwicklung von Airbnb. Auch heute noch werden die Mitarbeitenden dazu angehalten, selbst in den angebotenen Unterkünften zu übernachten, um ein Gefühl für die Kundenerfahrung zu bekommen.
Kundenzentrierung als Erfolgsfaktor agiler Unternehmen
Kundenforschung ist ein elementarer Bestandteil agiler Arbeitsweisen. Die Grundlage dafür bildet einer der vier agilen Kernwerte: Kundenzentrierung. Agile Organisationen fokussieren sich in ihrer Arbeit auf die Bedürfnisse ihrer Kund*innen und lernen aus deren Feedback.
Aber was bedeutet Kundenzentrierung eigentlich? Dazu gibt es viele Vorurteile und Missverständnisse. Das wohl gängigste lautet: “Wir berücksichtigen alle Wünsche der Kundinnen”. Klar: Es ist wichtig, den Kund*innen zuzuhören und ihre Bedürfnisse zu erkennen. Aber Kundenzentrierung bedeutet nicht zwangsläufig, ihre Wünsche zu erfüllen. Oder um es mit einem klassischen Zitat von Henry Ford, dem Gründer des gleichnamigen Autoherstellers, zu sagen:
Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.
Es geht vielmehr darum, herauszufinden, was Kund*innen brauchen und nicht, was sie wollen. Echte Kundenzentrierung bedeutet, Lösungen für die Probleme von Kund*innen zu finden und einen wirklichen Mehrwert für sie zu schaffen.
Customer Insights: Wer ist für die Kundenforschung zuständig?
Als wesentlicher Bestandteil der Arbeit agiler Teams trägt die Kundenforschung wesentlich dazu bei, Produkte und Dienstleistungen nah an den Kundenbedürfnissen auszurichten. Je nach Struktur und Größe des Teams kann diese wichtige Aufgabe von verschiedenen Rollen übernommen werden, die jeweils ihre spezifischen Fähigkeiten und Perspektiven einbringen.
Customer Researcher: Der Kundenforscher im Team
In größeren Organisationen oder Teams, die sich stark auf die Nutzererfahrung konzentrieren, gibt es oft eine spezielle Rolle für die Kundenforschung – den Customer Researcher. Diese Spezialisten führen systematische Untersuchungen durch, um tiefe Einblicke in die Wünsche, Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Zielgruppe zu gewinnen. Ihre Arbeit bildet die Grundlage für die Entwicklung von Produkten, die wirklich ankommen.
Der Product Owner als Kundenforscher
In agilen Teams kann auch der Product Owner die Kundenforschung übernehmen. Er sammelt und strukturiert Informationen von Kund*innen und allen Stakeholder*innen, um deren Bedürfnisse zu verstehen und die Produktentwicklung darauf auszurichten.
Der Product Owner setzt sich deswegen permanent mit der Zielgruppe und den Marktanforderungen auseinander und steht im ständigen Austausch mit Nutzer*innen und Stakeholder*innen.
Der Agile Coach als Kundenforscher
In der Regel wird der Agile Coach als Teambegleiter gesehen, der bei der Einführung agiler Methoden unterstützt. Seine Rolle ist jedoch weitaus vielfältiger. Denn auch in der Kundenforschung agiler Teams spielt der Coach eine wichtige Rolle.
Kundenforschung kann bei agilen Coaches auf zwei Ebenen stattfinden:
-
Sie leiten die von ihnen begleiteten Teams an und unterstützen sie dabei, Forschung über ihre Kund*innen zu betreiben. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass die Coaches dem Team helfen, effektive Methoden der Kundenforschung zu erlernen und anzuwenden.
-
Für die eigene Arbeit mit Teams müssen Agile Coaches ein tiefgreifendes Verständnis für ihre Kolleg*innen und deren Arbeitswelt aufbauen. Deshalb betreiben sie selbst Forschung, um ihre Kund*innen (also die Teams, die sie begleiten) besser zu verstehen und für sie als Coach passende Lösungen anbieten zu können.
Die Haltung als Kundenforscher*in
Um das komplexe Umfeld der Kundenerwartungen und -bedürfnisse bestmöglich zu erforschen, ist die Haltung von zentraler Bedeutung. Diese Haltung lässt sich schön in einem einfachen Satz zusammenfassen:
Ich bin nicht hier, um zu wissen, sondern um zu lernen.
Das drückt sich in vier Eigenschaften aus:
- Neugier: Ich bin ständig daran interessiert, neue Informationen zu sammeln.
- Unvoreingenommenheit: Ich bin offen für andere Sichtweisen und bereit, meine eigenen zu hinterfragen.
- Empathie: Ich bin ehrlich daran interessiert, die Bedürfnisse und Gefühle anderer Menschen zu verstehen.
- Ursachenorientierung: In der Forschung gehe ich nicht direkt zur erstbesten Lösung. Ich muss zuerst verstehen, woher das Problem kommt.
Beobachtung vs. Bewertung
Kundenforscher*innen nutzen Erkenntnisse aus Beobachtungen, um daraus Schlüsse zu ziehen und zu Customer Insights zu gelangen. Dabei ist es wichtig, Beobachtung und Bewertung zu trennen. Eine neutrale, möglichst “objektive” Beobachtung ist die Basis. Die Schlüsse, die Kunderforscher*innen oder das Team daraus zieht, sind immer eine Interpretation und damit eine Bewertung.
- Beobachtung: Wertfreie, objektive Wahrnehmung von Objekten, Phänomenen oder Prozessen.
- Bewertung: Beobachtungen werden interpretiert und mit einem Werturteil verknüpft.
Customer Insights: Wie funktioniert Kundenforschung?
Aus dem Beispiel Airbnb lässt sich viel lernen. Eine wichtige Erkenntnis: Quantitative Daten aus Statistiken oder Umfragen reichen nicht aus, um ein tiefes Verständnis und Empathie für die Zielgruppe zu entwickeln. Hierfür müssen Sie die Komfortzone Büro verlassen, vor die Tür gehen und Ihre Kund*innen in ihrem jeweiligen Kontext beobachten.
There are no facts inside the building so get the hell outside.
Dazu stehen Ihnen eine ganze Reihe von Forschungsmethoden zur Verfügung. Doch welche Methoden eignen sich am besten für die Kundenforschung? Diese Frage lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten. Die Auswahl hängt immer von Ihrer individuellen Situation ab und davon, was Sie herausfinden wollen. Um die richtigen Methoden für Ihre Forschungsziele zu identifizieren, sollten Sie deshalb drei Fragen beantworten:
- Kontext: Wollen wir bestehende Produkte und Dienstleistungen verbessern oder etwas Neues entwickeln?
- Art der Forschung: Wollen wir Hypothesen überprüfen oder etwas Neues lernen? Für Ersteres eignen sich beispielsweise quantitative Forschungsmethoden (z. B. Umfragen oder Statistiken). Um Neues zu erfahren, verwenden Sie eher qualitative Forschung, z.B. Feldstudien oder Interviews.
- Fokus: Worauf konzentrieren wir uns bei der Forschung? Liegt der Fokus eher auf den Bedürfnissen der Zielgruppe? Auf dem Kundenerlebnis? Oder auf unseren internen Abläufen? Je nachdem eignen sich unterschiedliche Methoden oder Ansätze.
Evaluative vs. explorative Forschung: Wo liegt der Unterschied?
Bei der Forschungsart unterscheidet man zwischen evaluativer und explorativer Forschung. Je nach Forschungsgegenstand und -kontext eignet sich ein anderer Ansatz.
- Evaluative Forschung: Mit evaluativer Forschung können Sie Annahmen oder Hypothesen statistisch überprüfen. Hierbei helfen quantitative Methoden (z.B. Fragebögen oder Online-Umfragen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten). Dies eignet sich z.B. zur Bewertung von prototypischen Ideen oder bestehenden Lösungen. Der Vorteil: Sie erhalten schnell Ergebnisse in großer Zahl. Evaluative Forschung birgt jedoch die Gefahr, dass vorgefasste Meinungen bestätigt werden, weil die Umfragedaten entsprechend interpretiert werden. Oder weil die Befragung bereits so angelegt ist, dass bestimmte Antworten erwartet werden.
- Explorative Forschung: Ziel der explorativen Forschung ist es, Verhaltensweisen, Motive, Hintergründe oder neue Perspektiven aufzudecken, ohne vorher eigene Hypothesen aufzustellen. Explorative Forschung ermöglicht es, Empathie zu entwickeln, neue Erkenntnisse und Inspirationen zu sammeln. Sie hilft damit, ein vertieftes Verständnis des Forschungsgegenstandes zu entwickeln.
So gestalten Sie den Forschungskreislauf
In der Kundenforschung hat es sich bewährt, in einem Kreislauf zu arbeiten, der sich in vier Phasen unterteilen lässt. Nach jedem Durchgang haben Sie neue Erkenntnisse gewonnen, die wiederum als Ausgangsbasis für den nächsten Durchgang dienen. So sammeln Sie kontinuierlich Wissen und Erkenntnisse.
- Die Ausgangssituation einordnen: Sie identifizieren eine Herausforderung in Ihrer Organisation und strukturieren Ihr bisheriges Wissen. Die Identifikation der Herausforderung und die Zusammenstellung des vorhandenen Wissens dienen als Ausgangspunkt für die Formulierung eines Forschungsziels.
- Forschungsziel definieren: Im nächsten Schritt entwickeln Sie im Team ein gemeinsames Verständnis darüber, was Sie mit der Kundenforschung erreichen wollen. Auf dieser Basis definieren Sie das Forschungsziel und die Forschungsfragen. Ziele können z. B. das Verstehen spezifischer Kundenbedürfnisse oder die Bewertung von Produktkonzepten sein. Forschung ist ein iterativer Prozess, der durch Erfahrung verfeinert wird. Auch wenn der Weg zu Beginn noch nicht klar ist, können Sie die Richtung bestimmen.
- Entwickeln Sie ein Forschungsdesign: Hier legen Sie den methodischen Rahmen für die Kundenforschung fest. Dies umfasst die Auswahl der Forschungsmethoden (z.B. Befragungen, Interviews, Fokusgruppen), die Bestimmung der Stichprobengröße und die Entwicklung des Forschungsplans.
- Forschung durchführen: Sie führen Forschung im Rahmen Ihres definierten Forschungsdesigns durch, um Erkenntnisse zu gewinnen. Die gesammelten Daten bilden den Ausgangspunkt, um die zuvor identifizierten Herausforderungen anzugehen – und die Grundlage für einen weiteren Durchgang des Forschungskreislaufs.
Beobachtung, Dialog, Selbstversuch: Methoden der Kundenforschung
Bei der Festlegung der Forschungsmethoden ist es am besten, einen komplementären Mix zu wählen, der Ihnen hilft, Ihre Fragen zu beantworten. Ein einprägsames Mantra, das bei der Auswahl Orientierung geben kann, lautet:
Sieh die Kunden (Beobachtung), höre den Kunden (Dialog) und sei der Kunde (Selbstversuch).
Grundsätzlich steht in allen drei Bereichen eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung. Nachfolgend ein kurzer (unvollständiger) Überblick.
Beobachtung: Sehen Sie die Kund*innen
Um unverfälschte Erkenntnisse aus der Analyse des Verhaltens und der Nutzungsweisen von Kund*innen zu gewinnen, helfen Beobachtungsstudien wie z.B. Shadowing.
- Shadowing/Fly-on-the-wall-Studien: Als stille Beobachter*innen begleiten Sie bestimmte Stakeholder oder Testpersonen bei alltäglichen Tätigkeiten oder bei Nutzertests. Sie beobachten beispielsweise, wie sich die Person bei der Interaktion mit einem Produkt in einer realen Situation verhält. Dabei greifen Sie zu keinem Zeitpunkt in das Geschehen ein. Die Nutzer*innen sollen ungestört ausprobieren und sich nicht durch Anmerkungen, Kommentare oder Anleitungen in eine bestimmte Richtung lenken lassen.
- Kulturproben: Durch die Analyse kultureller Artefakte (z.B. Plakate, Kleidung, Bilder) erhalten Sie tiefe Einblicke in die Umgangsformen und Bedürfnisse einer Zielgruppe. Sammeln Sie also Dinge aus dem direkten Umfeld Ihrer Kundengruppen, um von deren Lebenswelt zu lernen.
- Tagebuch-Studien: Hierbei bittet man die Kund*innen, über einen längeren Zeitraum ein Tagebuch z.B. über das eigene Verhalten oder die Nutzung eines Produkts zu führen. Dies geschieht anhand einzelner Leitfragen, die Sie den Nutzer*innen mitgeben und die sie in jedem Eintrag beantworten sollen. Dadurch erhalten Sie tiefe Einblicke in den Alltag Ihrer Kund*innen. Durch die regelmäßige Befragung können Sie zum einen Veränderungen im Nutzungsverhalten feststellen oder auch Einblicke in die Sichtweise der Kund*innen in bestimmten Situationen gewinnen.
- A day in the Life-Studien: Bei dieser Methode wird der typische Tagesablauf einer bestimmten Person oder Zielgruppe beobachtet und dokumentiert. Dies ermöglicht einen Zugang zur Zielgruppe und kann z.B. als Grundlage für die Erstellung von Personas dienen. Informationen hierfür erhalten Sie, indem Sie Kund*innen in ihrem Alltag begleiten oder Interviews mit ihnen darüber führen.
- Social-Media- und Webanalyse: Digitale Tools helfen Ihnen, Erkenntnisse aus dem Verhalten und den Interaktionen Ihrer Nutzer*innen auf Ihren digitalen Kanälen zu ziehen. Mithilfe von Social-Media-Analysen können Sie beispielsweise herausfinden, was Ihre Zielgruppe interessiert, welche Bedürfnisse und Herausforderungen sie hat und wie Ihr Produkt bei ihr ankommt. Mit Webanalyse-Tools können Sie Kennzahlen über die Nutzung Ihrer Webseite gewinnen: Hiermit messen Sie beispielsweise die Seitenbesuche, die Verweildauer oder die Conversion Rate, also den Anteil der User*innen, die eine gewünschte Aktion auf Ihrer Webseite durchgeführt haben (z.B. einen Kauf getätigt oder sich zum Newsletter angemeldet haben).
- Visitor Recordings: Mit Hilfe von Visitor Recordings (auch “Session Recordings”) zeichnen Sie die Webseitenbesuche Ihrer User*innen anonymisiert auf. So können Sie die Aktionen der Nutzer*innen rekonstruieren und daraus Schlüsse ziehen. In den Aufzeichnungen können Sie beispielsweise Maus- und Scrollbewegungen oder Klicks verfolgen.
Dialog: Hören Sie die Kund*innen
Auch im Dialog und dem direkten Austausch mit Kund*innen erhalten Sie wertvolles Wissen für Ihre Arbeit. Auch hier ist die Auswahl an Möglichkeiten sehr breit:
- Quantitative sowie qualitative Kundenbefragungen: Durch Kundenbefragungen erhalten Sie Informationen aus erster Hand. Dabei sollten Sie methodisch vorgehen, um wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen. Mit quantitativen Kundenbefragungen können Sie schnell eine große Menge an (statistischen) Daten sammeln. Dies lohnt sich vor allem dann, wenn Sie eine große Anzahl von Kund*innen befragen wollen. Dies kann zum Beispiel mit Online- oder Social-Media-Befragungen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten geschehen. Bei qualitativen Kundenbefragungen sammeln Sie einzelne Aussagen, um ein tieferes Verständnis zu erlangen. Eine qualitative Umfrage können Sie beispielsweise per Telefon oder Videocall mit ausgewählten Kund*innen durchführen. Oder Sie bilden eine Fokusgruppe: In dieser moderierten Diskussion können Sie die Meinungen, Ziele und Bedürfnisse verschiedener Kundentypen herausfinden.
- Sampling: Sie werden nicht alle Kund*innen oder Nutzer*innen Ihrer Produkte befragen können. Sie können jedoch eine Stichprobe oder Teilmenge von Personen auswählen, aus deren Befragung Sie allgemeine Schlüsse ziehen können. Beim Sampling stellen Sie eine repräsentative Gruppe von Personen zusammen, die Ihnen hilft, Ihre Forschungsfrage zu beantworten. Dieses Sampling nach bestimmten Gesichtspunkten führt zu verlässlichen Ergebnissen.
- Moving Motivators: Mit den Moving-Motivator-Karten können Sie persönliche Motive transparent machen und daraus lernen. Das Kartenset besteht aus zehn Motivatoren für menschliches Verhalten. Die Methode ermöglicht es, auf spielerische Weise sichtbar zu machen, was Menschen bewegt, darüber zu diskutieren und mögliche Konsequenzen abzuleiten.
- Tiefen-, Kontext und Experteninterviews: Interviews sind eine der effektivsten Methoden, um im Dialog mit der Zielgruppe Erkenntnisse zu gewinnen. In Interviews können Bedürfnisse, Probleme oder Barrieren erfragt werden. Mehr über die besonderen Herausforderungen und Chancen von Interviews lesen Sie weiter unten im Artikel.
Selbstversuch: Seien Sie Kund*in
Wertvolle Erkenntnisse gewinnen Sie auch, wenn Sie in die Haut Ihrer Kund*innen schlüpfen und bestimmte Situationen der Customer Journey im Selbstversuch erleben.
- Service-Safari: Die Methode ermöglicht es, eine Dienstleistung oder ein Produkt sowie deren Stärken und Schwächen aus Kundensicht zu verstehen. Hierbei übernehmen Sie die Rolle der Kund*innen und erledigen eine vorher festgelegte Aufgabe. Dies kann z.B. ein Anruf bei Ihrem Kundenservicecenter oder ein Kauf über Ihre Homepage sein. Dokumentieren Sie Ihre Beobachtungen und Erkenntnisse: Wo gibt es Barrieren? Wo brauchen Sie Unterstützung? Aus den Beobachtungen können Sie Schlüsse für Verbesserungen ziehen.
- Mystery Shopping: Beim Mystery Shopping (auch Testkauf genannt) testen Sie das Einkaufserlebnis in einem Ihrer Geschäfte oder auch Online-Shops. Als Testkäufer*in treten Sie dabei bewusst als “normale” Kund*in auf und bewerten das Einkaufserlebnis anhand zuvor festgelegter Kriterien. Dies können beispielsweise die Beratungsqualität, die Freundlichkeit der Verkäufer*innen oder auch die Sauberkeit des Ladengeschäfts sein. Das Verkaufspersonal darf von dem Test nichts wissen, da dies die Ergebnisse verfälschen würde.
- Service Roleplay: Im “Service-Rollenspiel” spielen Sie ein beispielhaftes Kundenszenario durch, um einen bestimmten Service oder eine Dienstleistung zu erklären und zu bewerten. Hierbei legen Sie bestimmte Rollen fest (z.B. Nutzer*in, Mitarbeitende, Beobachter*in) und bereiten die Szene vor. Prototypen des Produkts oder andere Materialien können dabei helfen, die Situation so realistisch wie möglich nachzustellen. Während der Aufführung lernen die Beobachter den Service, das Produkt oder die Dienstleistung kennen und können Stärken und Schwächen entdecken.
Interviews: Herausforderungen und Chancen
Wie oben angedeutet, gehören Interviews zu den effektivsten Methoden, um Erkenntnisse zu erhalten. Im Rahmen der Kundenforschung können drei Arten von Interviews unterschieden werden:
- Kontextinterviews: Hier gehen Sie an relevante Orte Ihrer Zielgruppe und befragen sie in ihrem “natürlichen” Umfeld. Beispiel: Sie sind Reifenhersteller? Dann besuchen Sie Kfz-Mechaniker*innen in einer Autowerkstatt. Oder entwickeln Sie Computerspiele? Dann befragen Sie doch Kund*innen und Verkäufer*innen im Fachgeschäft oder besuchen Sie eine Computerspielmesse.
- Tiefeninterviews: Tiefeninterviews mit ausgewählten Vertreter*innen Ihrer Zielgruppe geben Ihnen ein umfassenderes Bild einer bestimmten Fragestellung. Dabei stellen Sie vertiefende Fragen zu den Problemen und Situationen, in denen sich der*die Gesprächspartner*in befindet und erhalten so tiefgehende Einblicke, die sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen lassen.
- Experteninterviews: Wenn es für Sie schwierig ist, direkt mit Kund*innen in Kontakt zu treten, bieten sich auch Experteninterviews an. Hierbei profitieren Sie vom Wissen von Kolleg*innen, die viel Kundenkontakt haben. Diese Interviews können Ihnen auch helfen, wichtige Aspekte Ihrer Kundengruppe kennenzulernen.
Als Interviewer*in sind Sie der Gastgeber: Sie lenken das Interview, sollten sich aber immer auf die Dynamik des Gesprächs einlassen. Die folgenden Punkte können Ihnen dabei eine Orientierung geben:
- Steuern Sie das Gespräch: Ermutigen Sie die Teilnehmenden zum Sprechen und fragen Sie offen nach ihren Erfahrungen. Achten Sie aber darauf, dass keine Frage-Antwort-Situation entsteht.
- Reagieren Sie spontan: Erstellen Sie vor dem Interview einen Leitfaden mit wichtigen Fragen und Punkten. Dieser dient jedoch eher als grobe Struktur. Halten Sie das Gespräch offen, um spontan auf Antworten und Aussagen reagieren zu können.
- Bauen Sie eine Beziehung auf: Zeigen Sie Neugier und betonen Sie den Expertenstatus der Befragten.
- Lassen Sie Stille zu: Geben Sie Raum und Zeit zum Nachdenken.
- Lernen und verstehen: Bewerten Sie die Aussagen nicht und diskutieren Sie auch nicht mit Ihren Interviewpartner*innen, sondern respektieren Sie deren Ansichten.
Fragetechniken in Interviews
Die Kunst eines guten Interviews besteht darin, offene Fragen zu stellen, die den Gesprächspartner möglichst wenig in eine Richtung lenken. Gute Interviewfragen …
- … regen dazu an, konkrete Beispiele aus der Vergangenheit zu erzählen (Beispiel: Wenn Sie an das letzte Mal zurückdenken, als Sie den Stromanbieter gewechselt haben, wie sind Sie dabei vorgegangen?)
- … lassen Raum zum Nachdenken und geben keine Antworten vor (Beispiel: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an die App der Deutschen Bahn denken?)
- … suchen nicht nach Anerkennung und fragen nicht nach Zukunftsprognosen (Beispiel: Wenn Sie an die vorgestellte Software denken, wie würde sie in Ihren betrieblichen Alltag passen?)
- … geben einen Detaillierungsgrad vor, an dem sich der Befragte bei seiner Antwort orientieren kann (Beispiel: Wenn Sie an den Tag Ihrer letzten Flugreise denken, fangen wir am Morgen an: Sie sind aufgestanden, haben gefrühstückt und dann Ihre Koffer gepackt. Wie ging es dann weiter?)
Wenn Sie während des Interviews ein Thema vertiefen wollen, sollten Sie systematisch nachfragen. Dazu eignet sich zum Beispiel die Laddering-Methode. Hier einige beispielhafte Fragen:
- Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an … denken?
- Wenn Sie sagen …, was meinen Sie damit?
- Ist es für Sie positiv oder negativ?
- Wodurch entsteht dieser Eindruck? Worauf führen Sie das zurück?
Aber auch Verbindungen oder Vergleiche können eine Aussage näher erläutern:
- Häufigkeit: „Wie typisch ist diese Situation? Wie häufig machen Sie…?“
- Vergleiche: „Was ist für Sie der Unterschied zwischen Flugreisen und Bahnreisen?“
Bestimmte Dinge, Erlebnisse oder Phänomene haben für die Interviewpartner*innen ein besonderes Gewicht oder einen besonderen Wert. Daher sollten Sie auch die emotionale Ebene nicht vernachlässigen, um Empathie aufzubauen:
- Persönliches Empfinden: „Wie empfinden/erleben Sie die Situation? Wie war es für Sie?“
- Positive und negative Momente: „Was war beim letzten Mal besonders positiv? Was hat Sie überrascht?“
Soziale Phänomene können Aussagen verzerren
Bedenken Sie immer: Ein Interview ist eine ungewohnte soziale Situation und findet in der Regel unter Fremden statt. Daher kommen soziale Phänomene zum Tragen, die die Aussagen verzerren können:
- Soziale Erwünschtheit: Menschen wollen gefallen und antworten, was sie für richtig halten.
- Rationalisierung: Menschen rechtfertigen ihr Handeln im Nachhinein.
- Verallgemeinerung und Perspektivenwechsel: Menschen verlassen ihre eigene Perspektive (z.B. weil sie vermuten, dass diese nicht erwünscht ist oder sie schlecht dastehen könnten). Beispiele für solche Aussagen sind: „Man kann ja…“ „XY hat letztens dazu gesagt…“.
- Hawthorne-Effekt: Menschen ändern ihr Verhalten, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden.
- Bestätigungsfehler: Menschen interpretieren Informationen so, dass sie zu ihren Thesen passen.
Kognitive Verzerrungen vermeiden
Wie bereits im Abschnitt zu den Interviews erwähnt, gibt es einige Phänomene, die Aussagen oder Einsichten verzerren können. Neben den beschriebenen sozialen Aspekten gibt es einige kognitive Verzerrungen, die die Forschungsergebnisse beeinflussen. Und diese Verzerrungen treten nicht nur bei den Personen auf, deren Verhalten die Kundenforscher*innen untersuchen, sondern haben vor allem einen Einfluss auf den Kundenforscher*innen selbst.
Unter kognitiven Verzerrungen versteht man systematische Denk- und Wahrnehmungsfehler, die zu ungenauen und irrationalen Entscheidungen oder Ergebnissen führen können. Jeder Mensch hat bestimmte Vorstellungen, Ansichten, soziale Prägungen und Erfahrungen, die seine Wahrnehmung und sein Weltbild prägen. Und das hat natürlich auch Einfluss auf die Kundenforschung. Es ist wichtig, sich dieser Verzerrungen bewusst zu sein, damit sie nicht das Forschungsdesign und den Forschungsverlauf so beeinflussen, dass die Forschungsergebnisse unbrauchbar werden.
Hier einige der populärsten kognitiven Verzerrungen, die Einfluss auf die Forschung haben können:
- Group-Think: Diese Verzerrung kann in einer Gruppe auftreten, die nach Einigkeit strebt oder ein starkes Harmoniebedürfnis hat. Dabei schließen sich einzelne oder mehrere Gruppenmitglieder dem Urteil der Mehrheit an, obwohl sie möglicherweise anderer Meinung sind.
- Halo-Effekt: Darunter versteht man die Tendenz, von bekannten Eigenschaften oder Merkmalen einer Person auf unbekannte Eigenschaften oder Merkmale zu schließen. Da das Gesamtbild einer Person von diesem einen Merkmal abgeleitet wird, wird diese Verzerrung manchmal auch als „Halo-Effekt“ oder „Überstrahlungseffekt“ bezeichnet.
- Not-Invented-Here-Syndrom: Dieses Syndrom bezeichnet die Abneigung gegenüber Ideen oder Produkten, die nicht im eigenen Unternehmen oder der eigenen Abteilung entstanden sind (not-invented-here=nicht hier erfunden). Dies führt zu Ignoranz und Nichtbeachtung fremder Lösungen oder Vorschläge.
- Confirmation Bias: Der Conformation Bias (auch Bestätigungsfehler genannt) bezeichnet die Tendenz, Informationen so zu suchen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen bestätigen.
- Ingroup Bias: Menschen definieren sich häufig über ihre Gruppenzugehörigkeit. Dabei tritt der Effekt auf, sich von anderen Gruppen abzugrenzen und die eigene Gruppe als überlegen wahrzunehmen.
Fazit
Customer Insights sind der zentrale Baustein für kundenzentriertes Arbeiten. Mit Hilfe von Kundenforschung erhalten agile Organisationen wichtige Erkenntnisse über die Lebenswelt, Bedürfnisse und Herausforderungen ihrer Kund*innen. Dabei ist ein zielgerichtetes und methodisches Vorgehen sinnvoll. Nur mit den passenden Methoden erhalten Sie die Erkenntnisse, die Sie brauchen, um Ihre Lösung für Ihre Kund*innen zu optimieren.
In diesem Artikel haben Sie eine Auswahl an Forschungsmethoden kennengelernt und erfahren, wie Sie einen Forschungskreislauf aufbauen können. Wenn Sie tiefer in das Thema eintauchen möchten oder Unterstützung bei Ihren Forschungsvorhaben benötigen, unterstützen Sie die Expert*innen aus unserer Innovationsberatung gerne.