Customer Centricity: 7 inspirierende Beispiele für echte Kundennähe
Customer Centricity ist ein wesentlicher Aspekt von Agilität. Der Fokus auf Kundenbedürfnisse und -probleme wird heutzutage immer wichtiger. Viele Unternehmen haben allerdings Probleme damit, wirklich kundenzentriert zu agieren. Wir erklären Ihnen die wichtigsten Vorteile von Customer Centricity und haben Tipps , wie Sie mehr Kundenzentrierung in Ihren Arbeitsalltag integrieren. Zudem zeigen wir Ihnen als Inspiration 7 Beispiele aus Unternehmen, die echte Customer Centricity beweisen.
Was bedeutet Customer Centricity?
Customer Centricity (deutsch: Kundenzentrierung) ist eine Unternehmensphilosophie, die Kund*innen in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Entgegen einem profitorientierten Ansatz stehen hierbei die Bedürfnisse der Kund*innen im Fokus und am Anfang aller Überlegungen. Anstatt also nach möglichst gewinnbringenden Absatzmöglichkeiten zu suchen, antizipieren und analysieren Customer-Centricity-Unternehmen Kundenbedürfnisse und -probleme und entwickeln Lösungen dafür. Einfach ausgedrückt: Am Anfang des Wertschöpfungsprozess stehen nicht die Marktchancen, sondern Kund*innen und deren Bedürfnisse bzw. Probleme.
There is only one boss. The customer.
Warum ist Customer Centricity wichtig?
Im Zeitalter der Digitalisierung gewinnt Customer Centricity eine noch stärkere Bedeutung: Gesättigte Märkte, hoher Wettbewerbsdruck und die neuen digitalen Möglichkeiten führen zu geänderten Kundenbedürfnissen und -erwartungen. In vielen Bereichen hat sich das Verhältnis Kunde-Unternehmen umgedreht: Konnten Unternehmen früher ihre Ware ins Schaufenster stellen und damit Kund*innen anlocken, ist es heute anders: Kund*innen stehen im Schaufenster und Unternehmen müssen ihren Weg zu ihnen finden.
Klassische Firmen wie beispielsweise der Einzelhandel, der stationäre Buchhandel oder Taxi-Unternehmen werden seit Jahren durch digitale Vorreiter wie Amazon, Uber, Apple oder Paypal herausgefordert. Wir Kund*innen sind es mittlerweile gewohnt, rund um die Uhr alles online bestellen zu können und innerhalb von 24 Stunden geliefert zu bekommen. Wir ärgern uns, wenn wir länger als fünf Minuten auf ein Taxi warten müssen und erwarten, dass wir überall bargeldlos bezahlen können. Die Customer Experience, also die Erfahrungen, die Kund*innen mit Unternehmen machen, formen die (zukünftigen) Erwartungen. Unternehmen müssen dementsprechend ähnliche Leistungen bieten wie der erfolgreiche Wettbewerb oder die Kundenerwartungen bestenfalls übertreffen, um relevante Anbieter zu bleiben oder zu werden.
So priorisieren Sie Kundenbedürfnisse
Customer Centricity bedeutet oft, Bedürfnisse in Produktmerkmale zu überführen. Hierfür brauchen Teams Methoden, die es ermöglichen, Prioritäten zu setzen. Bei der Sammlung und Priorisierung der Kundenerwartungen und -bedürfnisse helfen beispielsweise das Kano-Modell oder die MoSCoW-Priorisierungsmethode:
- Kano-Modell: Das “Kano-Modell der Kundenzufriedenheit“ (benannt nach seinem Erfinder Noriaki Kano) ist eine Befragungsmethode, die die Wünsche und Erwartungen der Zielgruppe an ein Produkt ermittelt.
- MoSCoW-Priorisierung: Diese Methode stammt aus dem Projektmanagement und ermöglicht die Priorisierung der Anforderungen an ein Produkt oder Projekt. Das Akronym MoSCoW steht dabei für M (Must have), S (Should have), C (Could have) und W (Won´t have).
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Zu den Agile AtomsPreis- und Produktorientierung
Kundenzentrierung wird oft zwei anderen strategischen Ansätzen gegenübergestellt: der Preis- bzw. der Produktorientierung:
- Preisorientierung: Leistung des Unternehmens/Produkts wird als preislich bestes Angebot beworben/dargestellt (z. B. bei Lebensmittel-Discountern und im Handel. Denken Sie etwa an Slogans wie „Lidl ist billig“ oder „Geiz ist Geil“).
- Produktorientierung: Hier steht das Produkt im Fokus: Beworben werden Elemente, die es von der Konkurrenz abheben, seine innovativen Funktionen, das schicke Design oder die intuitive Bedienbarkeit (z. B. Automobilhersteller oder Technologie-Unternehmen).
Verfolgen Unternehmen einen dieser beiden Ansätze, ohne dabei den Kunden im Blick zu halten, stoßen sie an klare Grenzen: Wettbewerber können Produkte kopieren und Preise unterbieten. Preise können zudem nicht immer auf konstant niedrigem Niveau gehalten werden. Weltwirtschaftliche Entwicklungen, Inflation oder Ernteausfälle durch die Folgen des Klimawandels wirken sich beispielsweise auf die Lebensmittelpreise aus. Und auch Produkte können nicht immer dem gleichen Standard halten oder gewachsenen Qualitätsanforderungen entsprechen.
Häufig werden Preis- und Produktorientierung als Gegensatz zu Customer Centricity dargestellt. Aber ist das wirklich so? Produkt und Preis spielen natürlich auch bei kundenzentrierten Unternehmen eine Rolle – nur nicht die wichtigste. Echte Kundenzentrierung bedeutet, die Bedürfnisse der Kund*innen zu kennen und ihre Probleme zu lösen. Dies kann durch ein überragendes Produkt oder den günstigeren Preis bei vergleichbarer Qualität passieren. Unternehmen wie Tesla, Apple oder die Preisführer ALDI und Uber arbeiten hochgradig kundenzentriert und beweisen ihre Customer Centricity mit auf Kundenbedürfnissen zugeschnittenen Produkten.
Customer Centricity vs. Profitorientierung
Die Trennlinie verläuft nicht zwischen Produkt-/Preisorientierung und Kundenzentrierung. Das Gegenteil von Customer Centricity kann vielmehr mit dem Begriff “Profitorientierung” oder “Gewinnorientierung” umschrieben werden. Bei profitorientierten Unternehmen steht nicht das Interesse der Kunden, sondern das der Firma im Fokus. Die Frage ist hier nicht “Was will der Kunde?”, sondern eher “Wie können wir unser Produkt möglichst teuer verkaufen und wie können wir viel Umsatz generieren?”.
Dieser Fokus führt dazu, dass Firmen eher nach Absatzmöglichkeiten suchen und lenkt davon ab, sich auf den Kunden zu konzentrieren. Anstatt auf Produktinnovationen legen sie mehr Wert darauf, neue oder andere Vertriebswege für bestehende Produkte zu finden.
Profitorientierte Unternehmen stellen damit den Gewinn vor die Kundenzentrierung. Bei Customer Centricity ist es genau anders herum: Sinn und (Mehr-)Wert für den Kunden zu stiften, ist hier wichtiger als der Profit. Das ist auch eines der zentralen agilen Prinzipien.
Tesla: Sechs Jahre Vorsprung durch Customer Centricity
Der Automobilhersteller Tesla wird häufig über seine Produkte (z. B. Model S, 3, X, Y) definiert. Und das Unternehmen von Elon Musk hat hier ja auch einiges zu bieten: Gegenüber den traditionellen Autobauern soll Tesla in der technologischen Entwicklung einen Vorsprung von sechs Jahren haben.
Aber was macht der US-amerikanische Hersteller von Elektroautos anders als VW, BMW oder Toyota? Zunächst einmal ist der Grund in der Customer Centricity zu suchen: Anstatt bestehende Innovationen oder Applikationen von Konkurrenten zu kopieren, konzentriert sich Tesla auf wichtige Elemente der Customer Experience: So ist das Unternehmen beispielsweise führend in der Bordelektronik und der Fertigung.
Ein entscheidender Punkt für den Technologievorsprung ist das Zuliefersystem: Während klassische Automobilunternehmen ein gewachsenes und sehr umfangreiches Netz an Zulieferern entwickelt haben, die hochspezialisierte Bauteile liefern, stellt Tesla dies alles selbst her. Der Einsatz einer Vielzahl an unterschiedlichen System führt bei VW, Toyota und Co. zu komplexeren Prozessen, Softwareproblemen und allgemein einer langsameren Produktion.
Auch das Vertriebsmodell hat Tesla revolutioniert: Statt in Autohäusern verkauft das US-Unternehmen seine Fahrzeuge über ein Agenturmodell, in dem u.a. eine höhere Digitalisierungstiefe möglich ist.
Blackberry: falsche Entscheidungen führen zum Niedergang
Anfang der 2000er-Jahre hatte fast jede Führungskraft eines von ihnen in der Hosentasche: Das Blackberry war eines der ersten online-fähigen Smartphones mit Mailfunktion. In den folgenden Jahren war das hinter dem Mobiltelefon steckende Unternehmen Research in Motion (2013 in Blackberry umbenannt) der führende Smartphone-Anbieter im Geschäftsbereich.
Einige strategische Fehler führten ab der zweiten Hälfte der 2000er jedoch zum Niedergang der Marke: Die Unternehmensführung setzte zu spät auf Touchscreens und hielt an der Tastatur der Telefone fest. Als Apple 2007 dann das iPhone mit seinem intuitiv und leicht bedienbaren Touchscreen einführte, setzte sich diese Technik schnell durch. Die meisten Kund*innen führten alsbald Apple- oder Android-Geräte ein, Blackberrys verschwanden aus den Händen der Manager*innen. Im Zuge dieser Entwicklung sprang Blackberry eilig auf den Zug auf und brachte 2008 Touchscreen-Geräte (u. a. auch ein Smartphone) heraus, die aber nicht dem Standard der Konkurrenz entsprachen und deutlich fehleranfälliger waren.
Da Blackberry zudem seine Unternehmensstrategie auf die Zielgruppe Geschäftskunden ausgerichtet hatte und den Privatkundenmarkt außer Acht ließ, verlor der einstige Marktführer zunehmend an Bedeutung. 2016 stellte Blackberry die Produktion von Smartphones komplett ein.
Vorteile von Customer Centricity
Das Blackberry-Beispiel zeigt, wie falsche Management-Entscheidungen zum Verlust einer Marktführerschaft führen können. Und es beweist: Nimmt ein Unternehmen die Bedürfnisse seiner (potenziellen) Kund*innen nicht in den Blick oder interpretiert sie falsch, ziehen Wettbewerber vorbei – und nehmen die Kund*innen gleich mit.
Im Wettbewerb mit anderen Unternehmen bietet der Customer-Centricity-Ansatz entscheidende Vorteile: Oberstes Ziel der Customer Centricity ist es, Kund*innen zu begeistern und eine möglichst langfristige (Geschäfts-)Beziehung mit diesen aufzubauen. Durch einen konsequenten Fokus auf den Kundennutzen werden neue Bedürfnisse der Zielgruppe schneller erkannt, als es im profitorientierten Ansatz möglich ist. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die entwickelte Lösung von den anvisierten Kund*innen angenommen wird.
Menschen pflegen häufig eine stabile (emotionale) Beziehung zu Unternehmen, die sie mit ihren Produkten oder Services begeistert haben. Sie fühlen sich verstanden, wertgeschätzt und ziehen den Anbieter anderen Konkurrenten auch bei zukünftigen Kaufentscheidungen vor (im Zweifel auch, wenn sie teurer als die Konkurrenz sind).
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Mehr zur AusbildungEin weiterer Faktor, der hier nicht außer Acht gelassen werden sollte: Kund*innen reden über ihre Erfahrungen mit Unternehmen und empfehlen Anbieter weiter, mit denen sie positive Erlebnisse verbinden. Und das tun sie nicht nur gegenüber Freunden und Verwandten. Die Social-Media-Kanäle ermöglichen es, diese Erfahrungen mit einer Vielzahl von Menschen zu teilen. Viele Menschen machen ihre Kaufentscheidung von solchen Empfehlungen oder positiven Kundenrezensionen abhängig. Empfehlungsmarketing gewinnt in Zeiten von Instagram, Facebook und Amazon damit eine noch stärkere Bedeutung als zuvor. Auch hier haben kundenzentrierte Unternehmen einen Vorteil, da die Kundenzufriedenheit ihre höchste Priorität ist.
Wie funktioniert Customer Centricity in der Praxis?
Unternehmen sollten die alte Weisheit „der Kunde ist König“ also ernst nehmen und nicht nur als Kalenderspruch abtun. Echte Kundenzentrierung bedeutet, dass die Kundenperspektive als wichtigstes Kriterium in jede Unternehmensentscheidung eingebunden wird:
- Restrukturierung des Unternehmens: Wie dient die neue Organisation den Kund*innen?
- Neueinstellungen: Wie hilft die Rolle unseren Kund*innen?
- Einkauf und Supply Chain: Welche Kundenanforderungen können wir berücksichtigen (z. B. Flexibilität, Klimafreundlichkeit, Fair Trade)?
In vielen Unternehmen wird die Kundenperspektive allerdings nur oberflächlich betrachtet. „Wir haben nicht den einen Kunden“ oder „Jeder ist unser Kunde“ sind typische Aussagen. Eine solche Haltung verhindert echte Kundenzentrierung – man muss ja alle „bedienen“.
Bei echter Customer Centricity steht die Zusammenarbeit mit den Kund*innen und Nutzer*innen im Fokus. Und dafür müssen Unternehmen ihre Zielgruppe kennen.
Die Herausforderung dabei: Für echte Customer Centricity müssen nicht nur der Vertrieb und der Service kundenzentriert aufgestellt sein. Das ganze Unternehmen muss sich dahingehend ausrichten – auch die Bereiche oder Teams, die keinen direkten Kundenkontakt im Alltag haben.
7 Tipps, Kund*innen in den beruflichen Alltag einzubinden
Customer Centricity bedeutet, dass Sie einen engen Austausch mit Ihren Kund*innen pflegen und sie aktiv in Entwicklungen involvieren. Wir haben sieben Tipps für Sie, wie Sie echte Kundenzentrierung in Ihren Teams fördern können:
- Definieren Sie Ihre Zielgruppe: Legen Sie differenziert fest, für welche Personengruppen Sie eine Lösung, ein Produkt, ein Konzept, eine Dienstleistung entwickeln. “Alle” ist keine gültige Zielgruppe.
- Stellen Sie die Kundenperspektive in den Vordergrund: Formulieren Sie Ihre Vision, Ziele, Objectives & Key Results und Aufgaben so, dass immer die Perspektive der Kund*innen im Vordergrund steht.
- Suchen Sie den Kontakt: Gehen Sie raus aus dem Büro und sprechen Sie mit Ihren Kund*innen: Stellen Sie offene Fragen und lassen Sie sich Geschichten erzählen.
- Seien Sie ihr eigener Kunde: Durchlaufen Sie den Prozess oder die Customer Journey Ihres Produkts in der Rolle der Kund*innen und gewinnen Sie neue Erkenntnisse.
- Schauen Sie Ihren Kund*innen zu: Beobachten Sie Ihre Kund*innen, während sie Ihr Produkt nutzen und ziehen Sie Verbesserungsmöglichkeiten aus der Beobachtung.
- Beziehen Sie Ihre Kund*innen frühzeitig ein: Laden Sie Kund*innen ein, gemeinsam mit Ihnen im Team Ideen für Ihr Produkt oder Ihre Lösung zu entwickeln.
- Testen Sie Ihre Lösungen: Bauen Sie einen vereinfachten Prototyp Ihrer Idee und bitten Sie Ihre Kund*innen um Feedback.
Customer Centricity in agilen Organisationen
In agilen Organisationen ist Customer Centricity eine der zentralen Leitlinien und Merkmale der Unternehmensorganisation. Wichtige Aspekte dabei sind der kontinuierliche Aufbau von Wissen über Kund*innen und der Austausch mit ihnen. So können sie ihr Produkt oder ihre Lösung an den Nutzerbedürfnissen ausrichten und stetig optimieren. Agile Teams sammeln Erkenntnisse über Kund*innen beispielsweise durch qualitative Kundenforschung oder Tiefeninterviews. Sie erheben Kundendaten, schreiben User Stories und nutzen kundenzentrierte Metriken zur Erfolgsmessung.
Zudem beziehen agile Teams ihre Kund*innen im gesamten Produktentwicklungsprozess mit ein. Sie laden ihre Nutzer*innen zu Workshops ein, damit diese ihre Perspektive einbringen können. Oder sie geben als Teilnehmende von Reviews Feedback über entwickelte Lösungen oder Zwischenstände ab.
Zusammenarbeit mit dem Kunden vor Vertragsverhandlungen
Customer Centricity: Beispiele aus 7 Unternehmen
Überragender Kundenservice, Co-Kreation mit Kund*innen oder der Chef als Kellner: Es gibt viele Möglichkeiten, die Kundenperspektive in den Alltag zu holen. Als Inspiration stellen wir Ihnen einige besonders gelungene Beispiele für echte Customer Centricity vor.
1. Wie Zappos WOW-Momente für Kund*innen schafft
Zappos ist einer der größten Onlinehändler für Schuhe und Kleidung in den USA, vergleichbar mit dem deutschen Zalando. Gegründet 1999 von Nick Swinmurn war der überragende Kundenservice einer der größten Erfolgsfaktoren des E-Commerce-Unternehmens. In den Anfangstagen des Unternehmens war Online-Shopping noch nicht so weitverbreitet wie heute. Zappos definierte den Kundenservice als ihr Alleinstellungsmerkmal (USP) gegenüber der Konkurrenz: Das Vertrauen der Kund*innen soll mit einem 24/7-erreichbaren und herausragenden Service gewonnen und gehalten werden. Service-Mitarbeitende agieren für ihre Kund*innen wie ein Concierge: JEDE Kundenanfrage wird bearbeitet – sogar, wenn sie nicht mit dem direkten Geschäft verbunden ist.
Von zehnstündigen Telefonaten bis hin zur Pizza-Bestellung – im Internet kursieren zahlreiche Geschichten über den außergewöhnlichen Zappos-Service, die eins gemeinsam haben: Sie liefern echte WOW-Momente für begeisterte Kund*innen. Die direkte und vertrauensvolle Zusammenarbeit führt zu langfristigen Beziehungen zwischen Unternehmen und Kund*innen und hat eine ganze Schar von Zappos-Jüngern geschaffen.
2. Zingerman’s: Gründer (be)dient Kund*innen
Auch Zingerman’s ist für seinen überragenden Service bekannt. Das Unternehmen unterhält in der Region um Ann Arbor (USA) Delikatessengeschäfte und Restaurants und betreibt einen Online-Shop für Feinkost-Artikel. Neben leckeren Produkten und gutem Service bietet Zingerman’s eine Führung, die buchstäblich den Kund*innen dient – und inspiriert damit Führungskräfte auf der ganzen Welt.
Nach der Eröffnung des Zingerman’s Roadhouse, einem Restaurant mit 180 Plätzen, suchte Unternehmensgründer Ari Weinzweig nach einer Möglichkeit, dort präsent und aktiv zu sein. Er wollte sehen, wie der Betrieb läuft, ohne dabei die Mitarbeitenden zu steuern oder zu stark in die Abläufe einzugreifen. Er wollte raus aus dem Büro und dorthin, wo das Geschäft läuft, die Kund*innen sind und mit den Mitarbeitenden interagieren. Das Prinzip „Management by Walking Around“ deutete er um in „Managing by Pouring Water“: Er verbrachte mehrere Abende im Restaurant, ging von Tisch zu Tisch, verteilte Wasser – und beobachtete.
Der direkte persönliche Kontakt mit Mitarbeitenden und Kund*innen ermöglichte Weinzweig umfassende Einblicke in den Geschäftsbetrieb und die Bedürfnisse und Wünsche der Restaurant-Besucher*innen: Welche Kund*innen bestellen welches Essen? Wer entscheidet sich für den exotischen Fisch und wer für eher konservativere Speisen? Wofür interessieren sich Städter und was wählt die ländliche Bevölkerung? Und wo können die Abläufe eventuell noch optimiert werden?
Diese Methode – raus aus dem Büro und rein ins „wahre Leben des Unternehmens“ – schaffte hohen Wert für Zingerman’s. Weinzweig studierte Verhaltensmuster und konnte so Schlüsse für die stetige Verbesserung von Produkten und Services ziehen.
3. Steve Madden testet erfolgreich Schuhprototypen
Das Modegeschäft ist schnelllebig. Was heute in ist, kann morgen schon wieder out sein. Steve Madden begegnet diesem Phänomen mit ultimativer Kundennähe und einem direkten Austausch mit den Nutzer*innen. Der US-amerikanische Schuh- und Modehersteller führt unter anderem die Marken Dolce Vita, Betsey Johnson, Blondo, Greats und BB Dakota in seinem Portfolio.
Das Erfolgsrezept: Bevor ein neues Schuhmodell auf den Markt geworfen wird, entwickeln Steve Maddens Designer*innen innerhalb von vier Arbeitsstunden zunächst einen Prototyp des Schuhs. Diesen Prototyp platzieren sie in einem Flagship-Store in New York City, um die Reaktion der Kundschaft darauf zu testen. So gewinnt das Unternehmen tiefes Wissen über die Meinung (potenzieller) Kund*innen zum neuen Produkt. Kommt der neue Schuh bei der Zielgruppe an? Oder ist er eher ein Ladenhüter? Wird eine bestimmte Anzahl des Prototyps innerhalb einer festgelegten Zeitspanne verkauft, geht das Modell in die Massenproduktion.
4. Nordstrom: Co-kreative Produktentwicklung mit Kund*innen
Auch das traditionsreiche Luxuskaufhaus Nordstrom arbeitet mit direkten Kundenfeedback. Die Kaufhaus- und Versandhauskette für Schuhe, Taschen, Sonnenbrillen oder Kosmetika mit Stammsitz in Seattle (USA) hat in den letzten Jahren verstärkt auf kundenzentrierte Innovationen gesetzt. Wie viele Kaufhäuser und Geschäfte ist auch Nordstrom durch das veränderte Konsumverhalten im digitalen Zeitalter betroffen. Aus diesem Grund versucht es mit speziellen Erlebnissen, ihre Kund*innen zu begeistern.
Nordstrom hat früh begriffen, dass digitale Tools und Services eine große Rolle dabei spielen können, außergewöhnliche Kundenerlebnisse zu schaffen. Also schickte das Unternehmen Teams in die Kaufhäuser, um direkt am Point of Sale mit den Kund*innen gemeinsam Produkte und Services zu entwickeln. Sie bauten einfache Prototypen, die direkt vor Ort mit Kund*innen ausprobiert wurden. Das Feedback brachte das Team direkt in den weiteren Entwicklungsprozess ein. Innerhalb kurzer Zeit konnte es so ein Produkt mit echtem Mehrwert schaffen. Im Video sehen Sie, wie ein Team von Nordstrom gemeinsam mit Kund*innen eine App entwickelt, die beim Kauf von Sonnenbrillen unterstützt.
5. IKEA: mehr Kundenzentrierung durch digitale Transformation
IKEA darf in dieser Liste natürlich nicht fehlen. Die schwedische Möbelhauskette hat schon immer großartige Ideen gehabt, wenn es um die Customer Journey ging: IKEA lebt die Do-it-yourself-Philosophie und inspiriert seine Kund*innen, sich selbstständig durch die Produktvielfalt zu finden – bislang allerdings hauptsächlich in der analogen Welt der Einrichtungshäuser oder des bekannten IKEA-Katalogs.
Als Barbara Martin Coppola 2018 als neue Chief Digital Officer in die Unternehmensleitung aufrückte, begann sie damit, die digitalen Möglichkeiten des Unternehmens auszubauen. Ohne dass die Kund*innen es bemerken, wurde und wird das ganze Unternehmen im Hintergrund umgekrempelt. Hierbei behält Martin Coppola die Vision von IKEA immer im Blick: Die digitale Transformation ist kein Selbstzweck, sondern dient als Vehikel, bessere Kundenerlebnisse zu schaffen. IKEA betrachtet den digitalen Wandel dabei aus der Kundenperspektive und verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz: Die digitale Transformation führt zu einem kompletten Umdenken in der Firma – vom Geschäftsmodell über das Service Design bis hin zur Organisation der Zusammenarbeit.
6. Entwicklung einer kundenzentrierten Unternehmensplattform bei Haier
Das chinesische Unternehmen Haier ist Weltmarktführer in der Produktion von Haushaltsgeräten wie Waschmaschinen oder Mikrowellen. Als Zhang Ruimin 1985 als neuer CEO die Unternehmensführung übernahm, hat er die Unternehmensorganisation und -kultur radikal verändert – mit dem klaren Fokus auf die Kund*innen. Ergebnis: Allein in den letzten zehn Jahren verzeichnete Haier ein jährliches Wachstum von 20 Prozent.
Was hat Ruimin geändert? Als er 1985 den CEO-Posten übernahm, war die Qualität der Haier-Produkte schlecht. Ruimin trug Mitarbeitern auf, eine ganze Reihe von Kühlschranken mit Vorschlaghämmern zu zerstören. Er wollte damit das Qualitätsbewusstsein sowie das unternehmerische Denken seiner Mitarbeiter steigern und die Rolle der Kund*innen ins Zentrum rücken: Produkte mit dieser Qualität sollten nicht ausgeliefert werden.
Entwickeln Sie kundenzentrierte Produkte
Mit unserer Innovationsberatung unterstützen wir Sie bei Ihren Produktideen. Entwickeln Sie ihre Produkte kundenzentriert und bauen Sie Ihre Customer Experience zum nachhaltigen Wettbewerbsvorteil aus.
Zu unserer InnovationsberatungSeit 2012 arbeiten die Teams von Haier in einem Microenterprise-System: Jedes Team bildet ein Kleinunternehmen mit 10 bis 15 Mitarbeitenden, das eigenständig seine Arbeitsprozesse und Vorgehensmodelle sowie die interne Organisationsstruktur, das Geschäftsmodell und die Strategie definiert. Diese miteinander vernetzten Microenterprises (ME) bieten Services und Produkte für Kund*innen und/oder Kolleg*innen aus den anderen ME an. Haier gab seinen Angestellten wirtschaftliche Freiheit und Selbstständigkeit und verwandelte sich so in eine kundenzentrierte Plattform für Mini-Unternehmer. Die wichtigsten Merkmale des Haier-Systems:
Unternehmensführung setzt Rahmenbedingungen, in denen ME eigenständig wirtschaften.
- Haier besteht aus einem Netzwerk von über 4.000 autonomen Microenterprises.
- Die einzelnen Microenterprises schaffen Mehrwert für eine bestimmte Kundengruppe (Konsument*innen oder Kund*innen aus anderen Microenterprises). Das ME richtet alle seine Initiativen auf diese Gruppe aus, mit dem Ziel, wirtschaftlich erfolgreich zu sein.
- Sind die Kund*innen nicht zufrieden oder sinkt der Bedarf, muss das ME nach Möglichkeiten der Weiterentwicklung suchen oder schließen.
- Die Zusammenarbeit und Prozesse zwischen den ME sind durch gegenseitig abgeschlossene Vereinbarungen organisiert.
7. Victoria’s Secret: Warum man für Kundenzentrierung auch mal die Komfortzone verlassen muss
Dass Customer Centricity manchmal auch bedeutet, seine Komfortzone zu verlassen, beweist unser letztes Beispiel: Vor einigen Jahren wollte Victoria’s Secret sein E-Commerce-Geschäft kundenzentrierter aufstellen. Also heuerte das Damenunterwäsche-Label den Berater Jeff Gothelf für einen Workshop an. Relativ schnell stieß der User-Research-Experte hier auf unerwarteten Widerstand.
Eine der Übungen im Workhop war es, mit Kundinnen zu sprechen – und die Teilnehmenden verweigerten diese Aufgabe. Nicht jeder Mensch fühlt sich wohl dabei, Fremde anzusprechen und sie zu ihren Wünschen und Bedürfnissen auszufragen. Das zeigte sich auch bei der Gruppe von (männlichen) Entwicklern, mit denen Gothelf bei Victoria’s Secret zusammenarbeitete.
Was also tun? Anstatt Druck auszuüben oder den Widerstand zu verurteilen, blieb Gothelf empathisch: Er suchte nach den Gründen, warum sich die Entwickler unwohl fühlten. Und fand eine Lösung für das Problem. Er verdeutlichte dem Team erneut, wie wichtig Kundeninformationen sind, damit es seine Arbeit gut erledigen konnte. Ein guter Online-Shop funktioniert nicht nur über das Interface, Produktseiten und den Warenkorb. Um ein überragendes Kundenerlebnis zu schaffen, müssen die Entwickler wissen, was die Kunden erwarten. Und wie sollen sie das erfahren, wenn sie sie nicht fragten?
Diese Argumentation kam bei den Entwicklern an, sie waren motiviert, mehr über die Kundinnen zu erfahren. Sie hatten aber weiterhin Respekt davor, es selbst zu tun. Also bildete Gothelf Teams aus Entwicklern und Mitarbeitenden, die geübter in der direkten Kommunikation mit Kundinnen waren. Im Pairing interviewten die Teams gemeinsam Kundinnen, wobei die Entwickler nicht selbst sprachen, sondern sich Notizen machten. Insgesamt schickte Gothelf 30 Teams in die Geschäfte, die mit enormen Einsichten zurückkehrten. Das Ergebnis überzeugte die Entwickler, die diese Methode der Kundenbefragung fortführten, um ihre Arbeit zu verbessern und die Customer Centricity zu erhöhen.
Fazit
Die hier versammelten Beispiele zeigen, wie Unternehmen kundenzentrierter agieren können. Sie beweisen aber auch: Es gibt keine Patentlösung für Customer Centricity. Unsere oben genannten Tipps können dabei helfen und die sieben Beispiele als Inspiration dienen. Jedes Unternehmen muss allerdings seinen eigenen Weg zur Customer Centricity finden.
Sie möchten kundenzentrierter werden? Wir unterstützen Sie gerne. Mit unserer Strategieberatung helfen wir Ihnen und Ihren Teams, echte Customer Centricity in Ihrem Unternehmen zu etablieren.