Die 7 Dimensionen der Agilität
Geht es um zeitgemäßes Management, trifft man schnell auf das Thema Agilität. Die Definition fällt meist recht umfangreich aus, denn agile Arbeit findet sich auf allen Ebenen der Zusammenarbeit wieder. Dieser Artikel gibt Ihnen einen kompakten Einstieg zu Agilität, ohne etwas wichtiges auszulassen.
Inhalte dieser Seite
- Was ist Agilität? Definition in wenigen Sätzen
- Kapitel 1: 7 Ebenen der Agilität im Überblick
- Kapitel 2: Haltung als Fundament für Agilität
- Kapitel 3: Das agile Manifest und Werte für Agilität
- Kapitel 4: Prinzipien der Agilität vs. Taylorismus
- Kapitel 5: Agilität und agile Praktiken im Alltag
- Kapitel 6: Agilität und ihre Methoden
- Kapitel 7: Agile Frameworks als Gesicht von Agilität
- Kapitel 8: Agilität mit neuen Organisationsformen skalieren
Was ist Agilität? Definition in wenigen Sätzen
Agilität ist eine Form der Zusammenarbeit, die es ermöglicht im Team schneller auf sich verändernde Situationen reagieren zu können, kundenzentrierter und leistungsfähiger zu agieren. Seit Mitte der 2010er Jahre ersetzt sie zunehmend das verbreitete “Kommando und Kontrolle”-Management.
Agilität findet auf allen Ebenen der Zusammenarbeit statt. Agile Organisationen führen hierzu spezielle Organisationsformen, Vorgehensmodelle, Methoden und Praktiken ein. Darüber hinaus führen weiche Faktoren, wie agilen Prinzipen, Werte und eine agile Haltung zu einem kulturellen Umdenken im Unternehmen.
Agilität gibt es heute in tausenden Unternehmen jeder Größe, Branche und Region. Die Transformation zur agilen Organisation wird in der Regel von Agile Coaches und Agilen Organisationsentwicklern durchgeführt.
Kapitel 1: 7 Ebenen der Agilität im Überblick
Auch wenn Agilität oft fälschlicherweise mit Scrum gleichgesetzt wird, umfassen die neuen Formen der Zusammenarbeit ein deutlich globaleres Themengebiet. Eine konkrete Definition zu Agilität fällt meist schwer, weil es sich nicht an einzelnen greifbaren Methoden oder einer Checkliste festmachen lässt, ob ein Unternehmen agil ist. In der Regel sind es weiche Merkmale, wie die gelebte Kultur und Haltung aller Mitarbeiter, die den agilen Reifegrad einer Organisation zeigen.
Erschwerend kommt hinzu, dass viele Fragestellungen agiler Führung und Arbeit ständig durch die globale Gemeinschaft weiterentwickelt werden, so dass es kein abgeschlossenes Werk zu diesem Thema gibt und geben wird.
Ein Beispiel für diese Weiterentwicklungen ist “Working Out Loud”, ein agiles Lernsystem, das durch John Stepper zu einem methodischen Prozess entwickelt wurde. Erst seit 2015 erfreut sich WOL zunehmender Beliebtheit und Verbreitung – vornehmlich im deutschsprachigen Raum.
Agilität auf 7 Ebenen definiert
Auf unserem eigenen Weg zur agilen Organisation haben wir über 100 agile Pioniere kennengelernt. Dabei haben wir nach Mustern gesucht, mit denen eine Agilität Definition möglich ist. Herausgekommen sind sieben Ebenen agiler Arbeit, die für diesen Artikel als Grundlage dienen.
- Haltung: Wie ist unsere innere Einstellung gegenüber Menschen und Arbeit?
- Werte: Welche Ideale halten wir für moralisch erstrebenswert?
- Prinzipien: Welchen Regeln und Leitplanken folgen wir?
- Praktiken: Welche Rituale und Nudges fördern unsere Zusammenarbeit?
- Methoden & Hilfsmittel: Welche Werkzeuge helfen uns?
- Vorgehensmodelle: Wie sehen die Prozesse unserer Zusammenarbeit aus?
- Organisationsformen: Wie strukturieren wir Arbeit über viele Teams hinweg?
Diese Darstellungsform wird unter Agilisten gerne auch “Agile Zwiebel” genannt. Sie unterscheidet handlungsorientierte Ebenen und kulturorientierte Ebenen – “Doing Agile” vs. “Being Agile”. Im Unternehmensalltag können agile Formen der Zusammenarbeit sehr unterschiedlich gelebt werden. Insbesondere das “Doing Agile”, also Praktiken, Methoden und Vorgehensmodelle, sollte sich auf Bedarf und Kontext anpassen. Das “Being Agile”, also “Haltung”, “Werte” und “Prinzipien”, ist für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von zentraler Bedeutung.
Agile Reife einer Organisation
Jede Organisation ist unterschiedlich. Wenn es um die agile Reife geht, kann es selbst innerhalb eines Unternehmens zu großen Unterschieden kommen. Doch insbesondere bei der Transformation der Zusammenarbeit ist es hilfreich, den Status quo zu erheben. Auf diese Weise lassen sich Vergleiche ziehen und die Effekte der Veränderung sichtbar machen.
Um die agile Reife zu bestimmen, helfen die vier agilen Werte Kundenzentrierung, Anpassungsfähigkeit, Wirkungsfähigkeit und Verbundenheit. Den Reifegrad einer Organisation bilden wir bei Me & Company mit unserem Agile-Flywheel-Modell ab. Es untersucht auf sechs Ebenen, wie die Organisation die agilen Werte im Alltag lebt.
Mit dem Agile Flywheel lassen sich differenziere Aussagen über die Reife der Zusammenarbeit einzelner Teams treffen. Auch die Zusammenarbeit zwischen Teams und in relevanten Entscheidungsgremien fließt in einen zentralen Score ein, der letztlich den Reifegrad des Gesamtunternehmens wiedergibt.
Kapitel 2: Haltung als Fundament für Agilität
Insbesondere Agilisten mit langjähriger Erfahrung sehen die richtige Haltung als wichtigstes Merkmal der Definition von Agilität. Das agile Mindset ist für die erfolgreiche Zusammenarbeit der entscheidende Faktor.
Haltung leitet sich aus Werten ab. In agilen Organisationen kann man diese an vier zentralen Merkmalen erkennen:
- Kundenzentrierung
- Wirkungsfähigkeit
- Anpassungsfähigkeit
- Verbundenheit
Kundenzentrierung
Agile Menschen und Teams arbeiten in erster Linie für Kund*innen. Sie sehen Gewinne als Ergebnis guter Arbeit, nicht als Grund dafür. Vor diesem Hintergrund arbeiten sie fortlaufend daran, den Mehrwert ihres Produktes aus Anwendersicht zu steigern.
Agile Teams bauen kontinuierlich Kundenwissen auf, um ihr Produkt oder ihre Dienstleitung an den Bedürfnissen der Zielgruppe auszurichten und ständig weiterzuentwickeln. Diese konsequente Fokussierung auf den Kundennutzen bietet klare Vorteile: Neben einer schnelleren Reaktion auf neue Kundenbedürfnisse steigert sie die Wahrscheinlichkeit, dass das Produkt im Wettbewerb herausragt.
Menschzentrierung in der Zusammenarbeit
Der agilen Philosophie liegt ein durchweg positives Menschenbild – die Theory Y – zugrunde. Sowohl bei ihren Kund*innen, als auch in Bezug auf ihre Kolleg*innen glauben Agilisten erst einmal an das Gute. Sie vertrauen einander, agieren offen und transparent. Ihre Haltung ist: „Wenn 10 Prozent der beteiligten Personen Schlechtes im Sinn haben, warum sollten die anderen 90 Prozent darunter leiden?“ In der Folge werden in agilen Unternehmen Maßnahmen und Systeme zum Schutz erst entwickelt, wenn ein konkreter Bedarf entsteht.
Auch bei agiler Führung stehen Menschen und ihre Bedürfnisse im Zentrum. Agile Führungskräfte agieren in einer dienenden Haltung und schaffen so ein Umfeld, dass den Mitarbeitenden hilft, sich zu entfalten und bestmöglich um die Kund*innen zu kümmern.
„Chaos“, „Laissez-faire“ und „Anarchie“ sind typische Vorurteile in Bezug auf agiles Arbeiten. Doch wenn man sich näher mit neuen Formen der Zusammenarbeit befasst, erkennt man schnell, dass das Gegenteil der Fall ist: In der Definition von Agilität sind Leistungsfähigkeit und strukturiertes Arbeiten ein zentrales Thema.
Es mag kontraintuitiv wirken, wenn ein agiles Team sich als Ziel setzt, die Menge nicht geleisteter Arbeit maximieren zu wollen. Tatsächlich drücken Agilisten damit aus, dass sie sich fokussieren und Qualität über Quantität setzen. Sie arbeiten daran, den gelieferten Mehrwert für den Kund*innen stetig zu steigern und versuchen „Verschwendung“ von Ressourcen zu minimieren.
Hierzu messen sich agile Teams aus Eigeninteresse mit entsprechenden Key Performance Indicators (KPI), setzen sich SMARTe Ziele und suchen aktiv nach Potenzialen, besser zu werden. Auf diese Weise werden sie zu High Performance Teams.
Generell haben sie die Haltung, eigenverantwortlich im Sinne ihrer Kund*innen und des eigenen Unternehmens zu handeln. Nicht selten definieren sie Wachstum eher über die Zahl begeisterter Kund*innen und weniger über den erwirtschafteten Gewinn. Gleichzeitig denken sie dennoch unternehmerisch: Ihnen ist sehr wohl bewusst, dass Gewinne die Kosten der Zukunft bezahlen und im Interesse relevanter Stakeholder sind.
Anpassungsfähigkeit
„Always in Beta“ – mit diesem geflügelten Wort umschreibt die agile Gemeinschaft ihre Offenheit gegenüber stetiger Veränderung. „Beta“ ist in der Softwareentwicklung eine Produktversion, die fast marktreif ist, bereits getestet und genutzt werden kann, jedoch eventuell noch kleine Fehler aufweist. Doch das wichtigste Merkmal ist: Die Beta-Version liefert bereits den vollen Mehrwert für die Kund*innen.
Anpassungsfähigkeit ist nicht nur per Wortdefinition Bestandteil von Agilität. Sie bezieht sich nicht nur auf Abläufe, sondern auf die Geisteshaltung aller agilen Teammitglieder. Sie sollen eine Haltung entwickeln, in der sie den Status quo ständig hinterfragen, bei Bedarf das eigene Vorgehen und auch die Weiterentwicklung auf veränderte Rahmenbedingungen anpassen. Frei nach dem agilen Motto „Inspect and Adapt“ reagiert eine agile Organisation auf die VUCA Welt und passt sich neuen Situationen bzw. Erkenntnissen an.
Aus diesem Grund setzen sich agile Teams langfristige Ziele im Sinne eines „Purpose“, skizzieren dann zwar einen groben Weg, planen aber stets nur die nächsten Schritte. Sie sind angehalten den ständigen Kontakt zu den Kund*innen zu suchen, aus dem engen Austausch zu lernen und die Entwicklungen entsprechend dem neu gewonnenen Wissen anzupassen.
Aus diesem Grund werden die Praktiken und Methoden des Projektmanagements für die agile Arbeit hinterfragt und angepasst. Diese Veränderung lässt sich gut an einigen Beispielen verdeutlichen:
- Gantt-Pläne werden zu einer priorisierten Liste von gewünschten Arbeitsergebnissen, dem Product Backlog
- Jour Fixes weichen speziellen agilen Meetingformaten wie der Sprint Review.
- Im Projektcontrolling wird das budgetrelevante magische Dreieck neu interpretiert (s. Bild).
Verbundenheit
Für Agilisten ist die Verbundenheit innerhalb einer Gruppe ein zentrales Element. Events wie die Retrospektive oder Methoden wie das Celebration Grid zahlen auf das Gemeinschaftsgefühl ein. Gute Beziehungen sind in diesem Idealbild die Basis für psychologische Sicherheit, Empathie und den Erhalt der intrinsischen Motivation.
Auf der Basis von Verbundenheit entstehen Routinen, eine gemeinsame Sprache und damit ein Verständnis für die Perspektiven der Kolleg*innen. Mistrauensbarrieren senken sich, so dass die Zusammenarbeit in und zwischen Teams in den Fluss kommt.
Kapitel 3: Das agile Manifest und Werte für Agilität
Agilität ist stark durch ein Dokument geprägt, das 17 Softwareentwickler im Jahr 2001 geschrieben haben: Das Agile Manifesto enthält diverse Werte und Prinzipien, die vor allem bei der Entwicklung von digitalen Produkten helfen. Auch wenn die Aussagen des Manifests noch immer zutreffen, wurden die agilen Werte von vielen Agile Pionieren für ein breiteres Anwendungsfeld weiterentwickelt, so dass es zwar keine einheitliche Definition mehr gibt, aber einen großen gemeinsamen Nenner. Nachfolgend sind sieben Werte beschrieben, die man am häufigsten für die Agilität Definition antrifft.
Autonomie
Bereits im agilen Manifest war das Thema Selbstorganisation als wichtiges Element enthalten. Teams sollen die Freiheit bekommen, eigenständig entscheiden zu können, wie sie eine Aufgabe lösen. Hierzu definieren Product Owner – eine Rolle, die in fast allen agilen Teams vorkommen sollte – klare Aussagen, was vom Ergebnis erwartet wird. Die Umsetzung wird vom Team gemeinschaftlich, ohne Managementbeteiligung entschieden.
In agilen Unternehmen hat sich meist eine Führungsstruktur etabliert, in der die Macht Entscheidungen zu treffen dezentral auf verschiedene Rollen und Personen verteilt wird. Dennoch achtet man darauf, eine hohe, gemeinsame Ausrichtung auf übergeordnete Ziele sicher zu stellen. Und so ist das Prinzip “Hochgradig an einander ausgerichtet, lose miteinander verzahnt” entstanden, nach dem Agilität im größeren Rahmen skaliert wird.
Selbstverpflichtung
Mit viel Freiheit kommt auch große Verantwortung – dessen sind sich agile Teams bewusst. Insbesondere um der eigenen Leistungshaltung zu entsprechen, übernehmen sie vollständiges “Ownership” für ihr Produkt. Sie verpflichten sich gegenüber Kunden – nicht dem Management – stetig Mehrwert zu liefern.
Zu diesem Zweck treffen sich agile Teams meist alle zwei Wochen zu einer gemeinsamen Planung. In diesem Format priorisieren sie ihre Aufgaben und verpflichten sich innerhalb des nächsten Arbeitszyklus ein gemeinsam bestimmtes Ergebnis zu liefern.
Neben dieser Praxis gibt es weitere Rituale und Maßnahmen, die vor allem darauf abzielen stetiges Lernen in den agilen Alltag zu integrieren. Viele agile Organisationen führen z.B. einen Tag ein, an dem sie sich nur mit der eigenen Weiterentwicklung befassen. Beim düsseldorfer Telefonieunternehmen heißt dieser Tag Open Friday. Beim schweizer Klebebandhersteller Siga sind es Workshop-Tage. Wir bei Me & Company haben unsere MeDays.
Respekt
Eine respektvolle Zusammenarbeit ist für agile Teams sehr wichtig. Trotz unterschiedlicher Perspektiven, Fähigkeiten und Wissensstände sind sie daran interessiert, auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten. In diesem Zusammenhang ist die Zusammenarbeit auf Augenhöhe gängige Praxis und Teil der Agilitätsdefinition.
Eine Gruppe von Agilisten hat sich seit 2014 intensiv mit dem Thema „Augenhöhe“ beschäftigt. Seitdem sind zwei Filme entstanden, die Unternehmen (1. Film) und Bildungseinrichtungen (2. Film) mit ihren agilen Werten, Praktiken und Strukturen porträtieren.
Bei der Definition von Agilität sticht der Kernwert „Respekt“ hervor. Er ist die Basis für Vertrauen und psychologische Sicherheit in einem Team. Norm Kerth, ein agiler Vordenker, schrieb dazu in seinem Buch „Project Retrospectives: A Handbook for Team Review„:
Unabhängig davon, was wir entdecken, wir verstehen und glauben aufrichtig, dass jeder die beste Arbeit geleistet hat, die er in Anbetracht seines Wissensstandes, seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten, der verfügbaren Ressourcen und der aktuellen Situation leisten konnte.
Fokus
Agile Vorgehensmodelle wie Scrum und Kanban unterstützen agile Teams dabei, ihre Schaffenskraft auf eine sehr limitierte Arbeitsmenge zu konzentrieren. Hierzu arbeiten sie mit „Work in Progress”-Limits und priorisieren ihre Ziele regelmäßig.
Darüber hinaus prägt „Fokus“ als agiler Wert auch die Entwicklung von Produkten und Positionierung von agilen Unternehmen. „DOTADIW – Do one thing and do it really good“, hat sich aus der Gemeinschaft von Softwareentwicklern längst auf die agil arbeitende Startup-Szene übertragen. Ursprünglich ging es hierbei um begrenzt verfügbare, technische Ressourcen. Doch da Zeit und Geld in unserer Arbeitswelt ebenfalls immer begrenzt sind, ist Fokus als Kernwert nicht mehr aus der Agilität wegzudenken.
Transparenz
Die geheime Agenda von Kolleg*innen, Silodenken, Wissenshoheiten – mangelnde Transparenz sorgt im Alltag der meisten Unternehmen dafür, dass die Teams nicht ihre volle Leistungsfähigkeit entfalten können. Es werden Diskussionen geführt, unzählige Berichte erstellt und um einzelne Themenexperten gefeilscht.
Um diesen Umstand zu vermeiden, arbeiten Teams im agilen Umfeld an einem möglichst transparenten Umgang mit Informationen. So veröffentlichen sie z.B. ihre Ergebnisse, Erkenntnisse und KPIs an frei zugänglichen Stellen.
Zudem finden sich in vielen agilen Vorgehensmodellen Praktiken wieder, die etwa den aktuellen Arbeitsstand für alle Interessensgruppen sichtbar machen. Auf diese Weise sparen sie viel Zeit und helfen Managern und Partnern immer das jeweils relevante Wissen aufzubauen.
Mut
Agilität entfaltet ihre Stärken besonders in Bereichen, die von Ungewissheit und mangelnder Planbarkeit geprägt sind. In der Regel arbeiten die Beteiligten in einem Umfeld, in dem das Ziel klar ist, die Probleme und Lösungswege aber im Prozess erarbeitet werden.
In einem solchen Umfeld braucht man den Mut, Neues auszuprobieren, “Ich weiß es nicht” zu sagen und offen mit Fehlern umgehen zu können. Aus diesem Grund ist Mut einer der Kernwerte für die Definition von Agilität.
Offenheit
Im Wertegefüge von Agilität sind Mut und Offenheit enge Verwandte. Beide sind wichtig, um zu lernen und neue Wege zu gehen. Beide sind essenziell, um eine lebendige Feedback-Kultur zu etablieren.
In vielen agilen Methoden und Praktiken geht es um gute Kommunikation. Agile Teams geben sich sehr regelmäßig offenes, aber respektvolles Feedback. Hierzu braucht es beim Feedback–geber und beim -nehmer Offenheit, damit Botschaften richtig vermittelt und gehört werden.
Vor diesem Hintergrund befassen sich Agilisten häufig mit Kommunikationsmodellen, wie Radical Candor, gewaltfreie Kommunikation oder GROW. Ihnen ist bewusst, wie wichtig ein guter Austausch ist, damit wertvolle Arbeit entstehen kann.
Kapitel 4: Prinzipien der Agilität vs. Taylorismus
Agilität gilt oft als Gegenmodell zu den weit verbreiteten Führungsformen, wie sie dem Taylorismus zugeordnet sind. Neben der Haltung sind es vor allem die Prinzipien der Zusammenarbeit, mit der Agilität möglich wird.
Die meisten agilen Unternehmen reagieren mit unterschiedlichen Methoden und Ritualen auf organisatorische Alltagsfragen. Was sie jedoch gemeinsam haben sind ihre Haltung und ihre Prinzipien, mit denen sie sich ganz klar der tayloristischen Organisation gegenüber abgrenzen.
Im agilen Arbeitsumfeld gibt es weit über 65 Prinzipien, an denen sich Teams abhängig von den Methoden, die sie einsetzen, orientieren. Auf die Zusammenarbeit in Gänze lassen sich acht charakteristische Leitplanken herausstellen:
- Sinn vor Profit: Agile Teams stellen den Sinn ihrer Tätigkeit vor den Profit
- Abliefern vor Planung: Agile Teams stellen schnelle Ergebnisse für den Kunden vor eine perfekt ausgearbeitete Planung
- Netzwerke vor Hierarchie: Agile Teams stellen die Zusammenarbeit in Teams mit relevanten Fähigkeiten vor eine formalhierarchische Struktur
- Freiheit vor Kontrolle: Agile Teams stellen Freiraum für Experimente und Ergebnisse vor eine enge Abstimmung mit Kontrollinstanzen
- Talente vor Titel: Agile Teams stellen die individuellen Fähigkeiten vor formale Titel
- Transparenz vor Geheimnisse: Agile Teams stellen einen offenen, transparenten Umgang mit Informationen vor Geschäftsgeheimnisse oder Wissenshoheiten
- Unterstützung vor Befehl: Agile Teams stellen die gegenseitige Unterstützung vor Direktiven und Befehle
- Kunden vor “Hippo”-sicht: Agile Teams stellen die Erkenntnisse mit Kunden über die Meinungen von hochbezahlten Managern
Diese Prinzipien dienen als Orientierung, weniger als festgeschriebene Gesetze. Für jedes Prinzip findet sich sicher ein Unternehmen, das anders handelt und dennoch erfolgreich ist. Agilen Unternehmen ist es jedoch sehr wichtig, sich im Sinne dieser Prinzipien täglich weiter zu entwickeln.
Kapitel 5: Agilität und agile Praktiken im Alltag
Praktiken gehören zu jenen Merkmalen agiler Organisationen, die sichtbar sind und auch durch Außenstehende leicht zu erkennen sind. Es sind Rituale, die meist unter Zuhilfenahme von kleinen Werkzeugen umgesetzt werden. Hierzu einige Beispiele.
Timeboxing
Damit Teams fokussiert arbeiten, setzen sie sich häufig einen engen Zeitrahmen. Hierzu nutzen sie eine Stoppuhr. Meist finden sich daher Modelle von Time Timer in den Büros agiler Unternehmen.
Visualisieren
Im Kontext komplexer Aufgaben ist es oft wichtig die vielschichtigen Perspektiven zusammen zu bringen. Damit das möglich wird, visualisieren agile Teams gerne mit Hilfe von Whiteboards und Post-its.
Standups
Für eine gute Kommunikation gibt es feste Meeting-Rituale in fast allen agilen Organisationen. Daily Standups sind z.B. ein solches Format: Täglich treffen sich alle Team-Mitglieder zu einer festen Zeit und teilen binnen 15 Minuten ihren aktuellen Status. Dabei stehen sie alle im Kreis und sprechen nacheinander.
Kapitel 6: Agilität und ihre Methoden
Design Thinking, Scrum, Kanban – oftmals werden agile Vorgehensmodelle bzw. Frameworks fälschlicherweise als Methoden bezeichnet. Tatsächlich bieten diese jedoch nur einen Rahmen und lassen sich auf unterschiedlichste Weise mit diversen Methoden nutzen.
Ein Beispiel hierfür ist die agile Retrospektive. Ursprünglich im Scrum Framework beheimatet gibt es heute weit über 100 verschiedene Methoden für das Meeting-Format. Diese sind zum Teil sehr unterschiedlich, wie die folgenden drei Beispiele zeigen:
Wie für die Retrospektive und weitere Scrum Rituale, gibt es für jedes Framework viele agile Methoden. In der Regel bringen die Scrum Master oder Agile Coaches einen umfassenden Werkzeugkoffer mit ins Team ein, aus dem sie je nach Situation die passenden Werkzeuge auswählen.
Weitere Beispiele für agile Methoden finden Sie hier:
Ausbildung zum Agile Coach
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Mehr zur Agile Coach AusbildungKapitel 7: Agile Frameworks als Gesicht von Agilität
Vorgehensmodelle oder auch Frameworks liefern agilen Teams einen Rahmen für die Zusammenarbeit. Oftmals werden sie für die Definition von Agilität genutzt, weil sie als umfassende Modelle sehr greifbar sind.
Alle Vorgehensmodelle skizzieren einen idealtypischen Ablauf mit klaren Regeln. Zudem erfordern Frameworks wie Scrum oder Kanban spezifische Rollen, wie den Scrum Master oder Product Owner. Sie liefern für viele Fragen in der Ablauforganisation hilfreiche Antworten.
Meist werden nur Frameworks aus dem Softwarekontext der Agilität zugeschrieben. Doch das Bild ändert sich, so dass Vorgehensmodelle aus dem Innovationsmanagement wie Design Thinking und Lean Startup heute ebenso zur Agilität hinzugezählt werden. Auch Modelle, die dem Toyota Produktionssystem entstammen, wie Lean Management und das im Bauwesen beheimatete Last Planner System werden dem “lean-agilen” Arbeiten zugeordnet.
Kapitel 8: Agilität mit neuen Organisationsformen skalieren
Wenn mehrere Teams nach den Prinzipien der Agilität zusammenarbeiten sollen, kommen schnell organisatorische Fragen auf, die es abseits der reinen Arbeit zu klären gilt:
- Welche Rollen braucht es für teamübergreifende Selbstorganisation?
- Wie sorgen wir für eine effektive und transparente Kommunikation zwischen Teams?
- Wie reduzieren wir Abhängigkeiten zwischen Teams?
Und so sind auch auf struktureller Ebene neue Modelle entstanden, die heute ein grundlegender Teil von Agilität sind. Unternehmen wie Spotify, Buurtzorg und Haier haben Organisationsformen für den eigenen Bedarf geschaffen, die agiles Arbeiten in einem großen Maßstab erlauben. Daneben haben diverse Berater und Softwareentwickler Lösungen entwickelt, mit denen sich Scrum, Kanban und weitere Vorgehensmodelle im “Enterprise”-Kontext nutzen lassen.
Organisationsformen agiler Unternehmen
Damit Agilität im größeren Rahmen funktioniert, haben viele agile Unternehmen begonnen, an eigenen Systemen zu arbeiten. Dies sind nur drei von vielen Beispielen.
Spotify Engineering Culture
Die Spotify Engineering Culture ist die wohl bekannteste Organisationform eines agilen Unternehmens. Sie ist in 2014 als Vision beim schwedischen Streaminganbieter für Musik entstanden und durch den Agile Coach Henrik Kniberg populär geworden. Henrik hatte zwei Videos veröffentlicht, in denen die Ideen des Modells kompakt erklärt werden:
Buurtzorg bzw. BSO/Cells
Der niederländische Pflegedienst Buurtzorg wurde in 2007 gegründet und ist seither zum größten Anbieter des Landes mit über 14.000 Mitarbeitern herangewachsen. Die Zusammenarbeit hat das agile Unternehmen auf einem Modell namens BSO/Cells aufgebaut. Dieses ermöglicht es ihnen vollständig auf Management und Hierarchie zu verzichten. Dies sind die Merkmale:
- Buurtzorg-Teams sind 8-12 Personen groß und organisieren sich vollständig selbst – ohne Führungskraft.
- Wächst das Team aus dem Bedarf heraus auf über 12 Personen heran, suchen sich die hälfte der Kolleg*innen ein neues Büro in der Nähe, teilen die Patienten und starten einen eigenen Standort.
- Im Team teilen sich die Pfleger alle für den Betrieb relevante Aufgaben auf, bleiben jedoch auch Pfleger.
- In der Buurtzorg Zentrale arbeiten nur rund 50 Personen an Verwaltungsaufgaben
- Es gibt 15-20 Coaches mit Spezialwissen, die von den Teams für limitierte Zeit als Berater hinzugezogen werden dürfen.
Haier RenDanHeYi
Der chinesische Hersteller für weiße Ware entwickelt sein Organisationsmodell bereits seit 1984 stetig weiter. Seit 1998 hat das agile Unternehmen die Linien- und Matrixorganisation hinter sich gelassen, um mit eigenen Theorien bessere Lösungen für die heute rund 80.000 Mitarbeiter*innen zu schaffen. Dies ist der aktuelle Stand des RenDanHeYi Systems:
- Statt Abteilungen gibt es bei Haier über 4.000 Microenterprises, in denen Teams unternehmerisch eigenständig agieren.
- 200+ dieser Kleinunternehmen agieren direkt für den Kunden, 3.800+ sind als interne Serviceeinheiten angelegt.
- Jeder kann eine neue Einheit begründen und erhält finanzielle Starthilfe aus dem Board.
- Microenterprises dürfen in Konkurrenz zueinander innerhalb der Haier-Community agieren, d.h., es dürfen z.B. mehrere Recruiting-Enterprises um die Gunst der anderen Microenterprises werben.
Organisationsformen agiler Berater
Scrum und Kanban sind nicht nur in Bezug auf die Zusammenarbeit in Teams erfolgreich. Für Organisationen wie Scrum.org oder die Kanban University sind sie ein ertragreiches Geschäftsmodell. Zudem profitieren unzählige Trainer und Coaches von den Zertifizierungsprogrammen hinter agilen Frameworks.
Und so haben ehemalige Softwareentwickler sich auch für das Skalieren von Agilität im Unternehmen neue Modelle ausgedacht, die sie mit Zertifizierungen vermarkten können. Ob und wann diese Modelle Sinn machen, sollte jedes Unternehmen für sich entscheiden. Eines haben sie in jedem Fall gemeinsam: Sie liefern spannende Denkanstöße und sind eine gute Inspiration für den eigenen weg.
Scrum skaliert
Für das wohl am weitesten verbreitete agile Framework gibt es direkt mehrere Skalierungsansätze:
Kanban skaliert
Kanban Flight Level oder auch Kanban Enterprise wird seit 2017 vom Österreicher Klaus Leopold entwickelt. Es ist das einzige Framework, das eine strategische Führung berücksichtigt.
Holacracy
Rollen statt Titel, kein Management, kein Karrieresystem, dafür ein fluides Netzwerk aus selbstgeführten Teams – Holacracy funktioniert in vielen Punkten anders, als die bekannten Organisationsmodelle. Neben dem Spotify Modell ist es ebenfalls weit verbreitet, wird auch in großen Unternehmen wie der Deutschen Telekom oder dem US-Händler Zappos eingesetzt und für die eigenen Bedürfnisse weiterentwickelt. Auch die MeCracy, das Organisationssystem von Me & Company, basiert auf Holacracy.
Abschluss
Agilität ist nicht in allen Punkten konkret und fassbar. Und doch arbeiten heute tausende Unternehmen weltweit an agilen Ansätzen, mit denen unsere Zusammenarbeit besser wird. Es sind die Haltung, Werte und Prinzipien, die hierbei im Vordergrund stehen. Es ist eine Kultur, die Zeit braucht, um zu reifen.
Viele Unternehmen müssen ihren eigenen Weg für diese Reise finden. Es gibt keine “One-fits-all”-Lösung. Aber es gibt Menschen, die Erfahrungen gesammelt haben und Abkürzungen bieten, die Transformation beschleunigen und den Wechsel leichter gestalten. Wir freuen uns, Sie kennen zu lernen.