Teammitglieder von Me & Company in einem Workshop zum Thema Markeninszenierung

Agile Mindset: 3 Fragen an Karsten Seydel von Siemens Energy

Karsten Seydel ist ein Urgestein bei Siemens. Seit 1991 ist er Teil des Konzerns und hat sich aus der Fertigung heraus zum Experten für Lean Management und Change Experten bei Siemens Energy entwickelt. Im Gespräch berichtet er von seiner Sicht auf agile Mindset.

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Wie definiert Ihr agiles Mindset und warum ist es wichtig?

Unter agilem Mindset verstehen wir die Einstellungen und Denkweisen, die Menschen in einer agilen Organisation anstreben bzw. anwenden sollten. In der Regel bestimmt das Mindset die Handlungen der Menschen. Daher ist das richtige Mindset neben dem Sinn und Zweck – nach unserer Meinung – die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg jeder Transformation. Wir haben in der Vergangenheit schmerzhaft gelernt, dass der Versuch agile Methoden einzuführen kläglich scheitert, wenn das Mindset nicht stimmt.

Aus unserer Sicht kann man agile Haltung am Besten in Botschaften an sich selbst ausdrücken. Nachfolgend einige Beispiele, wie dies bei Siemens Energie aussieht:

  • Ich versuche, allen meine Aktionen einem Sinn unterzuordnen (mein Purpose / Purpose meiner   Organisation)
  • Ich glaube daran, dass alle Menschen ihr Bestes geben wollen.
  • Ich habe Vertrauen in die Menschen mit denen ich zusammenarbeite.
  • Ich bin Teil eines Ganzen. Ohne mein Team bin ich nichts. Ich bin Teamplayer.
  • Ich versetze mich in die Menschen und nehme sie dort mit, wo sie gerade sind.
  • Ich zeige meine Gefühle und Emotionen.
  • Ich versuche, die Emotionen der Menschen meiner Umwelt aufzunehmen.
  • Ich übernehme Verantwortung und fordere das von meinen Kollegen.
  • Ich sehe Feedback als Geschenk. Ich gebe und nehme Feedback.
  • Ich löse Konflikte zeitnah und auf Augenhöhe
  • Ich weiß, dass es keinen Standardweg gibt.
  • Ich bin nah am Prozess und den Menschen, nehme Signale auf, bewerte diese und reagiere frühzeitig.
  • Ich weiß das Pläne meist schon überholt sind, wenn sie auf dem Papier stehen, sehe Pläne aber trotzdem als notwendig an.
  • Ich bin transparent (bei meinen Zielen, in meinen Entscheidungen, bei meinen Fehlern, bei meinem Erreichten und Nicht-erreichten).
  • Ich habe eine Vision (für mich, meine Organisation).
  • Ich bin neugierig und offen für anderes.
  • Fehler sehe ich als Chance, nicht als Versagen
  • Ich bin kundenfokussiert.
  • Ich erkenne Verschwendung und versuche sie zu vermeiden.

und

  • Ich weiß, dass agile Methoden ohne agiles Mindset nicht funktionieren.
Karsten Seydel: Agilist bei Siemens
Karsten Seydel: Agiler Pionier bei Siemens
Karsten Seydel: Agiler Pionier bei Siemens

Wie helft Ihr Euren Kollegen agiles Mindset im Alltag von Siemens Energy zu leben?

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da viele unserer Mitarbeiter mit einem anderen, weniger agilen Mindset sozialisiert worden sind. Daher gehen wir langsam und teamweise vor. Wichtige Schritte sind dabei erste Workshops, in denen wir die Herzen der Teammitglieder öffnen. Wir möchten sie dafür begeistern, ein neues Mindset anwenden zu wollen. In der Regel entstehen in diesem Workshop erste Ansätze, welches Mindset die Teammitglieder anstreben und welche Aktionen oder Handlungsweisen daraus für sie Sinn machen. Haben sich die Teams dann basierend auf dem Mindset auf gewisse Abläufe geeinigt ist es wichtig, kontinuierlich Retrospektiven zu machen, um das aktuelle Team-Geschehen an dem einmal vereinbarten Mindset zu reflektieren und, wenn nötig, den Kurs anzupassen.

Eine weitere von uns genutzte Möglichkeit, am Mindset der Organisation sind sogenannte Gilden, die sich an vorher in der Organisation definieren Prinzipien ausrichten, und Mitarbeitern ein Forum geben, zu diesen Prinzipien Experimente in ihrer Organisation zu machen und die Ergebnisse mit allen zu teilen.

Aktuell haben wir Gilden zu folgenden Prinzipien:

  • Ich arbeite über die Silo-Grenzen
  • Ich stärke Vertrauen durch 100% Transparenz
  • Ich biete ungefragt Hilfe an
  • Ich frage konstant nach Feedback und gebe Feedback
  • Ich probiere neue Dinge aus
  • Ich treibe ungefragt Innovationen

Alles in allem ist die Transformation zu agilem Mindset bei uns ein langer, steiniger Prozess, der wohl nie abgeschlossen sein wird.

Welche Probleme und Herausforderungen gab es in der Vergangenheit in Bezug auf die agile Haltung und wie seid ihr damit umgegangen?

Eine der großen Lessons Learned ist, dass die Transformation Agile Coaches braucht, die sowohl Teams, als auch die Führungskräfte betreuen. Diese Coaches sollten zu 100% freigestellt sein, schon das richtige Mindset haben und über das notwendige Handwerkszeug (Moderationstechniken, Coaching-Techniken, agile Tools) verfügen.

Trotz der Coaches gibt es aber noch viele Probleme. Auf einige, die wir immer wieder bei den verschiedenen Teams beobachtet haben, möchte ich im Folgenden eingehen.

Ein Hinweis vorab: Die Auflistung soll aber nicht den Eindruck erwecken, dass wir für alle Probleme eine Lösung haben.

Problem

Das Bewusstmachen und noch mehr das Verinnerlichen agiler Denk- und Handlungsweisen kostet Zeit und Energie und beides haben wir nicht mehr, nachdem wir mit dem Tagesgeschäft fertig sind.

Unsere Lösungsansätze

Wir schaffen eine breite Allianz von zumindest „theoretischen“ Unterstützern im Management. Hierzu suchen wir eine gemeinsame Win-Win Situation. Es sind Versprechen, wie “Wenn ihr Zeit in das Mindset investiert, machen wir das Projekt mit der Hälfte der Leute”. Zudem hilft eine breite Kommunikation von guten Erfahrungen anderer agiler Teams. So schaffen wir nach und nach die Erkenntnis, dass wir ohne agiles Mindset und entsprechendes Arbeiten in Zukunft nur sehr schwer bestehen werden.

Problem

Das mittlere Management sieht agile Transformation als Gefahr und Verschwendung. Hier hören wir Aussagen, die sinngemäß wie folgt lauten: “Ich bin Gruppenleiter. So, wie ich arbeite, bin ich erfolgreich. Ich muss mich nicht verändern.”

Unsere Lösungsansätze

Wir führen Workshop Formate durch, die speziell auf das mittlere Management zugeschnitten sind. Dabei versuchen wir sie, sie in eine treibende Rolle zu bringen. Sie sollen erarbeiten, was ist für sie persönlich drin ist. Auch ein gemeinsames Zielbild für die Organisation der Zukunft zu bauen oder die eigenen Handlungsweisen an diesem Zielbild zu reflektieren gehört dazu. Wichtig ist, dass sie persönliche Verhaltensänderungen im Anschluss selber in der Organisation kommunizieren und praktizieren.

Es hat sich gezeigt, dass es sinnvoll ist, wenn Führungskräfte ihre Organisation darüber informieren, was sie persönlich verändern wollen und um Feedback und Unterstützung für den Fall bitten, dass es mal nicht so funktioniert.

Problem

Mitarbeiter haben nach all den vorangegangene Veränderungsprojekten die Nase voll und wollen nichts mehr von „Change“ hören. Wir hören Sätze wie: “Diese Projekte haben alle nichts gebracht, warum soll es jetzt anders werden?”

Unsere Lösungsansätze

In Open Space Veranstaltungen entwickeln wir alle Schritte gemeinsam mit einer möglichst großen Zahl von Mitarbeitern. Wir möchten aufzeigen, dass es in diesem Wandel um die Mitarbeiter und deren Motivation geht. Hierzu verschaffen wir den Mitarbeitern Freiräume und achten darauf, dass diese auch tatsächlich offen bleiben.

So schaffen wir anstelle vorangegangener zentral geführter Change Programme durch Co-Creation wieder eine breite Basis für Veränderung.

Problem

Obwohl sich die agilen Teams auf ein gemeinsames Mindset geeinigt haben, fallen einzelne Teammitglieder wieder zurück in die so lange erfolgreich erprobten alten Denk- und Handlungsweisen.

Unsere Lösungsansätze

Wir versuchen von Anfang an einen agilen Coach im Team zu haben. Er soll Spannungen und Probleme fühlen, so dass er, wenn nötig, kurzfristig zu einer Retrospektive einlädt. Unsere Erfahrung zeigt, dass über Zeit aus Mücken Elefanten werden und dann reicht eine Retrospektive meist nicht mehr.

Problem

Agile Teams fühlten sich bei uns im Großkonzern oft wie eine Insel, die von Haien umzingelt ist. Da traut sich keiner ins Wasser: “Das alles funktioniert doch nicht, wenn die anderen nicht mitmachen und die Kultur des oberen Managements sich nicht ändert.”

Unsere Lösungsansätze

Wir versuchen, vor Start eines neuen Teams klare Randbedingen abzustecken, in denen das Team frei entscheiden kann. Darüber hinaus unterstützen wir, in dem wir offen und breit über unsere Arbeit kommunizieren und natürlich, in dem wir als Coaches das Management begleiten.

Es ist wichtig, dass die Teammitglieder überzeugt sind, das richtige zu tun. Um dieses gemeinschaftliche Gefühl zu schaffen, nutzen wir spezielle Workshop Formate, bei denen wir speziell die Emotionen ansprechen.

Was ist Dein Fazit?

Man sollte bitte nicht den Fehler machen und eine agile Transformation als ein zentrales Projekt mit Projektleiter, Projektplan und Anzahl von Scrum-Teams als KPI starten. Wenn man wirklich agil werden möchte, sollte man sich auf das eigene Verhalten fokussieren, den Menschen und nicht den Prozess in den Mittelpunkt stellen. Man sollte auf Co-Creation unter Einbeziehung aller bauen.

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